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Mathilde Möhring

Mathilde Möhring

Titel: Mathilde Möhring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Was immer in ihr festgestanden hatte, daß Hugo in eine kleine Stadt und nicht in eine große gehöre, das stand ihr jetzt fester denn je.
    Hugo selbst zog sich früh zurück, es konnte kaum neun sein, denn wenn auch siegreich, es war doch ein heißer Tag gewesen. Aber er mochte noch nicht schlafen und ging auf und ab in seinem Zimmer. Alles in allem war ihm nicht sehr siegerhaft zumut. Er war nun Referendar, alles ganz gut, aber nun blieb noch der Assessor, und wenn er daran dachte, daß diese zweite Weghälfte notorisch viel, viel steiniger sei, so überkam ihn dasselbe Angstgefühl wieder, das er schon auf dem Heimwege von der Examinationsstätte bis zur Georgenstraße gehabt hatte. Mit Thilde war nicht zu spaßen; und er rechnete mit halber Gewißheit darauf, daß Thilde vielleicht morgen schon das am Neujahrstage mit ihm geführte Gespräch wiederholen und ihm zum zweiten Mal die Epistel lesen würde, vielleicht unter Wiederbewilligung einer Ferienwoche. Dann nahm das Repetieren bei Tag und das Frag-und-Antwort-Spiel bei Abend wieder seinen Anfang, und er erschrak davor und zweifelte, daß er's überwinden werde. Vielleicht wär es besser gewesen, er wäre durchgefallen, dann war die ganze Quälerei vorbei. Verlobt war er freilich, aber doch erst ein Vierteljahr, das wollte nicht viel sagen, und am Ende – mußt es denn grade die Juristerei sein, die so gar nicht zu ihm paßte, weil alles so steif und hölzern war. Rybinski lebte doch auch. Und wenn er auf der Posener Bahn fuhr (dessen entsann er sich jetzt mit Vorliebe) und an den kleinen Stationen vorüberkam, wo das Bahnhofsgebäude halb in wildem Wein lag und der Bahnhofsinspektor in seiner roten Mütze den Zug abschritt, während eine junge Frau mit einem Blondkopf neben sich halb neugierig und halb gelangweilt aus dem Fenster der kleinen Beletage sah, Gott, da war ihm schon manch liebes Mal der Gedanke gekommen: ja, warum nicht Bahnhofsinspektor? Und dieser Gedanke kam ihm wieder. Und wenn nicht Bahnhofsinspektor, warum nicht Schuppeninspizient oder Telegraphist; das bißchen Tippen muß sich doch am Ende lernen lassen, und mitunter kommt auch mal ein interessantes Telegramm, und man gewinnt Einsicht in allerlei.
    Diesen Betrachtungen hingegeben, wurd er ruhiger und schlief ein. Aber am andern Morgen war die alte Sorge wieder da, und er war verlegen, als ihm Thilde seinen Kaffee, den er noch immer allein nahm, in sein Zimmer brachte.
    »Guten Morgen, Hugo. Sieh, wie prächtig die Sonne scheint, das ist dir zu Ehren. Und es ist auch warm draußen, du solltest spazierengehn und dich nach all den Strapazen erholen. Denn wenn einer auch noch so tapfer ist« (und sie lächelte dabei), »vor einem Examen hat doch jeder Furcht. Gehen macht wieder frisch, und bring uns ein paar Neuigkeiten mit. Ich glaube, deine ›Tochter der Luft‹ ist nicht mehr da, sonst ließe sich darüber reden, und wir könnten heut abend vielleicht hingehn. Heute vormittag muß ich in die Stadt. Soll ich dir etwas mitbringen? Oder hast du auf was Appetit? Mein lieber alter Mensch, du bist doch recht blaß geworden.« Und dabei gab sie ihm einen Kuß mit ihren schmalen Lippen und ging dann und nickte ihm von der Tür her noch mal freundlich zu.
    »Merkwürdiges Mädchen«, sagte Hugo, »so gut und so tüchtig; aber Küssen is nicht ihre Force. Nu, man kann nicht alles verlangen, und jedenfalls bin ich froh, daß sie nich gleich wieder davon angefangen hat. Es wird wohl nur eine Galgenfrist sein. Aber wieviel Tage hat denn das Leben? Und ein Tag ist schon immer was.«
     
    Hugos Befürchtungen schienen sich nicht erfüllen zu sollen. Das Examen war Ende März gewesen, und schon war Mitte April, ohne daß Thilde von Assessor-Examen und Vorbereitung dazu gesprochen hätte. Sie ließ es gehn, war voll kleiner Aufmerksamkeiten, unter denen Stückevorlesen aus klein gedruckten Reclamschen Zwei-Groschen-Ausgaben obenan stand, und hatte sich nur darin geändert, daß sie minder häuslich schien als früher und jeden Vormittag ein paar Stunden in der Stadt war. Hugo selbst kümmerte sich nicht darum und auch kaum die Alte, bis diese eines Tages fragte »Thilde, du bist jetzt immer gerade weg, wenn die Runtschen kommt und reine macht. Ich will nichts sagen, aber sie rennt immer gegen, weil sie nich sehen kann, und schlägt alles entzwei, heute wieder die grüne Lampenglocke.«
    »Ja, das is schlimm, Mutter.«
    »Wo gehst du denn eigentlich immer hin, Thilde?«
    »Lesehalle für Frauen.«
    »Und

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