Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mathilde Möhring

Mathilde Möhring

Titel: Mathilde Möhring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
Behagen auf die Methode, nach der Thilde verfuhr, und freute sich der Erleichterungen, die das pädagogische Verfahren ihm unmittelbar gewährte. Es stand nämlich für Thilde fest, daß sie sich hüten müsse, seiner Tragekraft mehr zuzumuten, als diese doch nur schwache Kraft beim besten Willen leisten konnte, weshalb sie mit Klugheit und Geschick für Unterbrechungen Sorge trug oder, wie sie sich scherzhaft ausdrückte, für »Entrefilets«, ein Wort, das sie sich aus Hugos etwas feuilletonistischem Sprachschatz angeeignet hatte. Wenn das Examinieren, das sie nach Möglichkeit in ein quickes Frage-und-Antwort-Spiel verwandelte, bedrücklich zu werden anfing und sich in Hugo[s] Zügen etwas von Ermüdung zeigte, so brachte sie ein Glas Tee oder Rotwein oder eine Ingwertüte, und während sie ihm daraus präsentierte und auch wohl selber ein Stückchen nahm und von den Molucken sprach, wo der Ingwer am besten eingemacht würde und wo sie von China her (oder vielleicht würden sie auch nachgemacht) auch die großen blaugeblümten Porzellankrüge hätten, glitt sie zu Tagesfragen über und las ihm von Christenverfolgungen in China vor oder von den Franzosen in Annam und Tonkin oder von dem Kriege, den die Holländer mit den Eingebornen führen müßten. Die Japaner seien den Chinesen doch weit voraus, und ein Volk, das solche Naturbeobachtung habe und solche Blumen und solche Vögel machen könne, das repräsentiere doch eine allerhöchste Kultur, was man jedem Teebrett absehen könne. Dabei wolle sie noch nicht einmal von dem Lack sprechen, der doch auch unerreicht dastehe. Dabei war Thilde groß in Übergängen, und wenn sie so mit Hülfe der Ingwertüte bei den Molucken und Japan und China begonnen hatte, war es ihr ein leichtes, sich bis zu Kroll und der Sembrich und sogar bis zu Rybinski zurückzufinden, und wenn sie dann noch was Pikantes, das sie eigens für Hugo sammelte, zum besten gegeben und ihn erfrischt hatte, sagte sie: »Nun aber, bricht Verkauf Miete oder nicht?«
    Und Hugo ging dann mit wiedergewonnener Kraft ins Feuer und antwortete mitunter so gut, daß Thilde ihre helle Freude hatte.
     
    Die alte Möhring war immer dabei, schon weil sie nicht wußte, wo sie hinsollte. So kam Ende Januar heran, und als eines Abends um die zehnte Stunde Hugo das Zimmer verlassen und Thilde die Gläser und Tassen beiseite geräumt hatte, sagte die Alte, während sie sich auf eine Fußbank und mit dem Rücken an den Ofen setzte: »Sage mal, Thilde, lernt er denn gut?«
    Thilde
: »O ganz gut, Mutter, eigentlich besser, als ich dachte.«
    Die Alte
: »Ja, ja, es kommt mir auch so vor, und er is auch ein bißchen viviger, als er eigentlich is. Aber du kommst immer mit soviel dazwischen.«
    »Wie denn?«
    »Mit soviel von Theater und Bella. Mir is, was so zwischenkommt, immer das liebste, und wenn gar nichts zwischenkäme, so ging' ich zu Bett. Aber es is doch woll nich richtig, daß immer soviel zwischenkommt.«
    Thilde lachte. »Nein, Mutter, es ist ganz richtig so. Sieh mal, es ist so. Wenn ich heute noch nach Spandau gehen soll, na, dann zieh ich mir meinen Gummimantel über und nehme den Regenschirm und staple los; und in Charlottenburg lehne ich mich mal an und sehe nach 's Schloß rüber und was die Uhr ist, und um zwölf bin ich in Spandau, und um vier bin ich wieder hier und bringe dir deinen Kaffee.«
    »Ja, Thilde, das glaub ich schon. Aber was meinst du nu eigentlich?«
    »Und nu nimm mal [an], daß
du
gehen sollst, auch nach Spandau. Na, bis vors Brandenburger Tor kommst du mit einem Zug, und dann setzt du dich auf die erste Bank, gleich da, wo die kleinen Springbrunnen sind. Und wenn du dich ausgeruht hast, dann geht es weiter, [dann] kommst du bis an den Kleinen Stern und dann bis an den Großen Stern und dann bis an die Chausseehäuser. Und überall ist 'ne Bank und kannst dich ausruhn, und so kommst du nach Spandau. Sagen wir gegen Abend. Aber du kommst doch an. Und ohne Ruhebank wärst du liegengeblieben und gar nicht angekommen.«
    »Ja so, nu versteh ich. Ohne die Banke kommt er nich an. Na, wenn er bloß ankommt.«
    Thilde
: »Er wird schon.«
     
    Und richtig, es kam. Hugo bestand. Er hatte zwar nur das Notdürftige gewußt, es trotzdem aber erzwungen. Dasitzend wie Hus auf dem Konzil zu Kostnitz, ernst, schwärmerisch und bescheiden, halb tapfer und halb angstvoll, war es diese Haltung gewesen, die schließlich alles zum Guten geführt hatte. Seine Persönlichkeit hatte gesiegt. Einer der Herren

Weitere Kostenlose Bücher