Matterhorn
Die Gooks würde miteinander redend und nichts ahnend den Pfad entlangkommen. Daniels würde das Zeichen geben, und die Artillerie würde loslegen. Sie würden Erkenntnisse gewinnen, die die Strategie der gesamten Division verändern oder einen Angriff auf Quang Tri vereiteln würden. Ein Orden. Ein Artikel in der Zeitung zu Hause. Aber was, wenn sie nicht rechtzeitig in Stellung gingen und frontal auf die Vietcong trafen? Was, wenn einige von ihnen verwundet wurden und die anderen nicht abhauen konnten?
Vor ihnen knackte etwas, und Mellas’ Herzschlag beschleunigte sich, während die schattenhafte Gestalt von Vancouver rasch zu Boden sank. Angestrengt Ausschau haltend, ließ sich Mellas auf ein Knie nieder. Der sanft durch den Dschungel streichende Wind führte den Geruch feuchter Fäulnis mit sich. Außerdem ließ er die Bäume rascheln und erfüllte die Luft mit einem unaufhörlichen Zischeln. Etwas hören zu wollen war fast ein Ding der Unmöglichkeit. Nichts zu hören, konnte seinen Tod bedeuten. Die Angst ließ sein Herz hämmern und seinen Atem flacher und schneller gehen, was wiederum das Hören noch erschwerte. Keiner rührte sich. Alle warteten auf einen Befehl von ihm.
Am liebsten hätte er auf seine Karte geschaut. Wenn er die Umrisslinien von Berg 1609 als Kartenbild sehen könnte, würde ihm das helfen zu glauben, dass es den Berg und die Kompanie nach wie vor wirklich gab. In dieser Dunkelheit war das alles nur ein Traum. Langsam griff er nach seiner Karte. Dann machte er sich klar, dass er seine Taschenlampe einschalten müsste, um sie lesen zu können. Um den Anschein zu erwecken, er täte etwas, hielt er sich seinen Kompass vor die Nase und klappte das Gehäuse auf. Der fahlgrüne Schimmer der Nadelspitze schwankte wie betrunken und stabilisierte sich dann leicht zitternd. Schreckliche Gewissensbisse packten ihn. Was, wenn das Knacken vor ihnen von einer Gruppe wie der ihren herrührte, die nur darauf wartete, das Feuer zu eröffnen, sobald weitere Geräusche zu hören waren? Leise klappte er den Kompass wieder zu. Was nützte einem schon ein Scheißkompass, wenn man absolut nicht sehen konnte, wo man war? Er spürte, wie eine Hand seinen Stiefel antippte. »Ich glaube nicht, dass das nichts war, Lieutenant«, flüsterte Vancouver.
Mellas wusste, er musste sich entweder vorwärtsbewegen oder eindeutig entscheiden, dass sie den Feind vor sich hatten, und sich schleunigst zurückziehen und einen Verteidigungsring bilden. Letzteres, auch das wusste er, konnte er nicht tun, ohne wie ein Idiot dazustehen. Ein anderer Teil von ihm übernahm schließlich das Kommando, und er flüsterte: »Auf geht’s.«
Sie standen auf. Vorsichtig traten sie vorwärts. Ferse aufsetzen. Nach etwas Festem tasten. Fußspitze. Ferse heben. Anderer Fuß. Ferse aufsetzen. Nach dürren Zweigen tasten. Fußspitze. Linke Ferse. Alle bewegten sich auf die gleiche Weise. Leise. Langsam. Die Gangart des Aufklärungstrupps.
Es war kein Marsch im Viervierteltakt. Es gab kein Zeitmaß. Es gab nur Ewigkeit. Über ihnen knarrten unsichtbar Bäume. Richtung wurde bedeutungslos. Die Kompassnadel zeigte nur auf Dunkelheit.
Das Mündungsfeuer von Vancouvers M 16 versengte ihnen die Augen. Geisterhaft traten, wie von Blitzlichtern dem Dunkel entrissen, die Silhouetten von Bäumen hervor. Jäh entstanden groteske Schatten und erstarben, während alles wieder schwarz wurde. Grüne Flecken trübten ihre Nachtsehfähigkeit, die Explosionen dröhnten ihnen wieder und wieder in den Ohren.
Mellas hatte flüchtig das von Schmerz und Angst verzerrte Gesicht eines NVA -Soldaten gesehen.
Mit hämmerndem Herzen und vom Adrenalin keuchend, robbten sie rückwärts. Mellas stieß mit Daniels zusammen, der sich in die ihm zugewiesene Position schob. Er spürte, wie andere Stiefel seine Beine berührten, als Fredrickson und Gambaccini den Kreis erreichten. Rasch flüsterte Mellas Namen. Keiner fehlte, keiner hatte etwas abgekriegt.
Über Funk kam hektisch das Check-in-Signal. Daniels gab das Okay-Signal ein, und das Funkgerät verstummte.
»Ich habe nur einen gesehen, Vancouver«, flüsterte Mellas.
»Mehr habe ich auch nicht gesehen.«
»Nichts wie weg hier«, flüsterte Gambaccini.
»Wir müssen die Leiche auf Dokumente untersuchen«, flüsterte Mellas wild entschlossen.
»Ach du Scheiße, Mann.«
Sie hörten ein Stöhnen.
»Ach du Scheiße, er lebt noch«, flüsterte Fredrickson.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Gambaccini.
»Wir
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