Matterhorn
politisches Amt? Und dann tot. Tot. Das Gelächter kehrte sein Innerstes nach außen, legte sein Geheimstes bloß. Er lag vor Gott, wie sich eine Frau einem Mann öffnet, die Beine gespreizt, der Bauch ungeschützt, die Arme offen. Aber im Gegensatz zu mancher Frau besaß er nicht die innere Stärke, die es ihr erlaubt, so etwas ohne Furcht zu tun. In Mellas steckte überhaupt nichts von der Stärke einer Frau.
Wieder schüttelte ihn der Terrier, und Mellas war schmerzhaft lebendig. Nackt bis auf einen Schrei, ausgezogen bis auf einen Schmerzenslaut, schluchzte er seinen Zorn auf Gott in heiseren Worten, die ihm in der Kehle wehtaten. Er erbat nichts mehr, fragte sich auch nicht mehr, ob er gut oder böse gewesen war. Solche Begriffe waren allesamt Teil des Scherzes, wie er jetzt erkannte. Er verfluchte Gott für den üblen Scherz, den er mit ihm getrieben hatte. Und während er ihn so verfluchte, sprach Mellas zum ersten Mal wirklich mit seinem Gott. Dann weinte er, und Tränen und Rotz vermischten sich miteinander, während sie ihm übers Gesicht liefen, aber sein Weinen war die Wut und der Schmerz eines Neugeborenen, das endlich – wie grob auch immer – aus dem Mutterleib geholt wird.
Mellas’ neue Einsicht veränderte nichts, zumindest nicht äußerlich, aber er wusste, er würde sich nicht tot stellen. Er hatte sich sein Leben lang tot gestellt. Er würde sich nicht in den Dschungel davonstehlen, um sich selbst zu retten, weil dieses Selbst nicht wert erschien, gerettet zu werden. Er hatte beschlossen, auf dem Berg zu bleiben und alles in seinen Kräften Stehende zu tun, um die Leute um ihn herum zu retten. Der Entschluss tröstete und beruhigte ihn. So zu sterben war eine bessere Art zu sterben, weil so zu leben eine bessere Art zu leben war.
Der Senior Squid kam in Mellas’ Schützenloch gekrochen, mit Blut und Erbrochenem von den Verwundeten besudelt. »Ich musste einfach mal weg«, sagte er. Er ließ sich neben Mellas gleiten, um den Dschungel und den Nebel zu betrachten. Mellas wusste, dass seine existenzielle Krise Sheller einen Scheißdreck kümmerte. Und plötzlich wusste er auch, woher Hawke seinen Humor hatte. Er zog ihn aus der Beobachtung der Fakten. Was für ein kolossaler Scherz – dass Mellas wahrscheinlich einen Orden dafür bekommen würde, dass er einen seiner eigenen Leute getötet hatte. Es erschien ihm passend, dass der Präsident wahrscheinlich wiedergewählt werden würde, weil er das Gleiche in weit größerem Maßstab getan hatte. Dann fing eine neue Stimme in ihm mit Gott zu lachen an.
Dass er laut lachte, wurde ihm bewusst, als er sah, dass Sheller ihn fragend anschaute. »Was ist?«, fragte Mellas, immer noch lachend.
»Was ist so komisch, Sir?«
Mellas lachte erneut. »Scheiße, Sie sehen einfach verheerend aus, Sheller. Wissen Sie das?«
Er lachte weiter und schüttelte dabei den Kopf vor Verwunderung über die Welt.
Langeweile kennzeichnete das Verstreichen der Stunden. Die Männer kämpften gegen ihr Schlafbedürfnis an. Kurz vor Mittag lichtete sich der Nebel ein wenig und schwebte wenige Meter über dem Matterhorn, wodurch sich die Sichtverhältnisse so weit verbesserten, dass ein Vogel auf dem Helicopter Hill hätte landen können. Sofort forderte Fitch über Funk die Nachversorgungshubschrauber an.
Helicopter Hill war nun allerdings auch von den NVA -Mörserschützen deutlich auszumachen, die zu feuern begannen und ihre Mörser mühelos ausrichten konnten. Als die Marines hörten, wie die Projektile die Rohre verließen, war ihnen klar, dass ihnen zum Deckungnehmen nur die wenigen Sekunden blieben, die die Granaten brauchten, um in hohem Bogen auf dem Berg niederzugehen. Die Granaten schlugen ein, der Boden erzitterte, und der Druck traf auf Trommelfelle und Augäpfel. Es war weder Geräusch noch Lärm, weil man es nicht hörte. Man spürte es. Es war Schmerz.
Die Marines kauerten sich in ihren Löchern zusammen und spürten die Schläge. Sie hielten sich die Ohren. Erde prasselte auf ihre Helme und drang ihnen in die Nasenlöcher. Einer aus dem Dritten Zug wurde von einer Granate getroffen, die auf dem Rand seines Schützenlochs detonierte. Man zerrte ihn in den Bunker, der die wenigen Feldflaschen mit Wasser enthielt, die den Verwundeten vorbehalten blieben. Alle anderen waren draußen.
Die Vögel waren unterwegs, als der Nebel sich wieder verdichtete. Die Hubschrauber konnten die Landezone nicht finden und kehrten um, als ihnen der Sprit ausging.
Der
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