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Matterhorn

Matterhorn

Titel: Matterhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Marlantes
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zu, wie Goodwin die Männer leise zählte und dabei mit dem Finger auf jeden zeigte. Ihm kam der Gedanke, dass Goodwin wahrscheinlich auch beim Lesen die Worte mit den Lippen formte. Goodwin nickte Robb, dem Gruppenführer, zu und nahm dann eine tief geduckte Haltung ein. Zehn Meter jenseits der Stellungen warf er sich zu Boden und begann zu robben. Robb folgte drei Meter hinter ihm. Dann war China an der Reihe. Er ging.
    Mellas sah zu, bis die Gruppe in den Nebel gerobbt und verschwunden war. Der ganze Berg wartete auf das Feuergefecht. Eine Stunde verstrich. Goodwin meldete sich nicht über Funk. Cortell kam zu Mellas und setzte sich neben ihn, ohne etwas zu sagen.
    Irgendwann brach Mellas das Schweigen. »Beten Sie auch wegen so einem Scheiß, Cortell?«
    Unter dem blutigen Verband um seinen Kopf hervor sah Cortell ihn an. »Ich bete ständig, Sir.«
    Binnen einer Stunde war die Gruppe zurück; die Männer schleppten zwei Leichen. Mellas fiel auf, dass das Funkgerät des Horchpostens nicht da war. Bei den Stellungen angekommen, gab Goodwin dem Senior Squid das Wasser der Toten und durchsuchte dann ihre Taschen. »Hey«, rief er und hielt eine einzelne dunkelgrüne C-Ration-Dose hoch, »Rindereintopf.«
    Belagert zu werden, ist wie jede andere Spielart des Krieges. Hinter dem unmittelbaren Grauen des Einander-Tötens liegt öde, zermürbende Warterei. Der Nebel blieb an diesem Morgen dicht, und die NVA beschoss sie nur ein paar Mal mit Mörsergranaten. Wahrscheinlich hatte man Angst, die eigenen Leute zu treffen, die sich um die Marines herum eingegraben hatten. Damit bekamen alle viel Zeit zum Nachdenken.
    Mellas ging allein zu dem Leichenstapel oben auf der Landezone. Alles, was er sehen konnte, waren die ausgebleichten Stiefel der Veteranen mit ihren kränklich gelben Nylonschäften und die schwarzen Stiefel mit den dunkelgrünen Schäften der Neuen. An Stiefeln und Handgelenken waren Pappschilder befestigt.
    Der Senior Squid hockte sich neben Mellas. Was er in der Hand hielt, sah nach Fotos aus.
    »Was haben Sie da, Sheller?«, fragte Mellas.
    »Schnappschüsse. Aus den Taschen der Toten. Ich brauche Ihr Okay, um sie wegzuwerfen. Laut Dauerbefehl der Division ist sicherzustellen, dass zusammen mit dem Leichnam nichts Anstößiges nach Hause gelangt.«
    »Anstößiges?«, fragte Mellas mit zusammengebissenen Zähnen.
    Verlegen senkte Sheller den Kopf. »So lautet die Vorschrift, Sir.«
    Mit zitternden Händen ging Mellas langsam die Fotos durch. Es handelte sich um Bilder von toten Nordvietnamesen: zerrissene, geschwärzte Körper. Ein Bild zeigte einen Körper ohne Kopf, der aufrecht in einem Schützenloch saß. Daneben posierte lächelnd ein Junge aus Goodwins Zug, den Kopf in der Armbeuge. Es gab auch ein Bild von drei toten amerikanischen Jungs, alle in ein einziges Schützenloch gezwängt. Auf das Foto hatte jemand mit Kugelschreiber »Snake, Jerry und Kansas« geschrieben. Ein Bild zeigte eine schöne, junge Thailänderin, die in einem Hotelzimmer nackt auf dem Bett lag. Mellas betrachtete es eine ganze Weile, vermerkte das über die Laken flutende schwarze Haar, die glatten braunen Beine, die züchtig die Vulva verbargen. Die fragile Schönheit inmitten des Grauens nahm ihm den Atem.
    »Das da hat mir zu schaffen gemacht«, sagte Sheller.
    »Er hat doch verlängert, um sie wiederzusehen?«
    Sheller nickte.
    »Verbrennen Sie sie alle.«
    Sheller zückte seelenruhig ein Zippo und zündete die Fotos an. Sie sahen zu, wie sie sich in der Hitze langsam krümmten, verfärbten, dann in Flammen aufgingen. Und sie sahen zu, wie das Gleiche mit dem nackten Körper eines Barmädchens in Bangkok geschah. Niemand wusste, wie Susi wirklich hieß, also konnte auch niemand ihr sagen, dass Janc gefallen war. Das würde sie erfahren, wenn ihr nächster Brief mit dem Stempel VERSTORBEN zurückkam.
    Mellas ging zurück zu seinem Schützenloch, zwängte sich hinein und versuchte, sich warm zu halten. Die beiden Schutzwesten halfen da nur wenig. Jacobs kam zu ihm, um zu fragen, ob die Vögel kommen würden.
    »Glauben Sie mir, Jake, wenn ich erfahre, dass ein Scheißvogel hier landen kann, und wenn’s nur ein winziger Spatz, ein Braunkopfkleiber oder ein haarbrüstiger Witwenmacher ist, sag ich Ihnen sofort Bescheid.«
    Dann bemerkte Mellas, dass in dem Gummiband um Jakes Helm ein Ohr steckte. Ihm wurde kalt. »Was haben Sie da an Ihrem Helm?«
    »Ein Ohr, Sir«, sagte Jake lässig.
    »Entfernen Sie das.«
    »Scheiße,

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