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Matterhorn

Matterhorn

Titel: Matterhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Marlantes
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wieso?«, fragte Jacobs hitzig. »D-das Sch-schwein hat Janc umgebracht, und d-das weiß ich, weil ich seine L-leiche den Hügel runtergeschmissen hab.«
    »Sie wissen, dass Sie wegen Leichenschändung in den Knast kommen können.«
    »In den Knast? Sch-scheiß Knast. Und wer kommt dafür in den Knast, dass er Janc umgebracht hat? D-die gehören in den Knast, die die Scheißvorschriften erfunden haben.«
    »Werfen Sie das weg, und zwar sofort. Und Sie werden auch die Leichen begraben.«
    »Ich begrab keinen t-toten G-gook. Kommt n-nicht infrage.«
    »Na los, Jake, sehen wir sie uns mal an.«
    Jacobs folgte Mellas schweigend zu den Stellungen hinunter. Sie blickten den steilen Hang hinab zu der Stelle, wohin man die Körper der toten Vietnamesen nach dem Angriff geworfen hatte. Wie sie da lagen, einige mit offenen Augen, Arme und Beine verdreht, starr, wirkten sie eigenartigerweise so, als wäre es ihnen unbequem. An einer Leiche war mit einem K-Bar-Messer herumgesäbelt worden. Ihr fehlte ebenfalls ein Ohr.
    »Wer war das, Jake?«, fragte Mellas leise. »Hören Sie, ich weiß, dass die einige von uns umgebracht haben, aber wir haben auch ein paar von ihnen umgebracht, oder?«
    Jacobs nickte, den Blick gesenkt. Mellas erinnerte sich, wie er einmal mit ihm darüber gelacht hatte, dass sie beide Ministranten gewesen waren. »Das war ich«, sagte Jacobs. Er griff nach oben, riss das Ohr von seinem Helm und schleuderte es zu den Leichen hinunter. »Ich b-bin einfach den Hügel r-runter und bin mit dem Messer über sie her. Ich weiß auch nicht, warum.«
    Nebeneinander standen sie da und schauten in den Nebel. In Jacobs’ Augen schimmerten Tränen, aber er hielt sie zurück. »Mann, Janc«, sagte er.
    Gambaccini kam zu ihnen. Oben an seinen Buschhut waren zwei Ohren geheftet. »Ich hab auch Ohren abgeschnitten, Sir«, sagte er. »Wenn Sie Jacobs in den Bau stecken, gehör ich da auch hin.«
    Mellas schüttelte langsam den Kopf. »Gambaccini, die toten Gooks sind mir scheißegal. Werfen Sie einfach die Ohren weg, damit Sie nicht in den Knast kommen.« Er schickte sich an wegzugehen. »Aber Sie können Jake helfen, die Leichen zu begraben.«
    Als er sich ein Stück weit entfernt hatte, warf er einen Blick zurück. Die beiden standen immer noch da und blickten auf die Leichen hinab. Dann nahm Gambaccini ein Ohr nach dem anderen, krümmte einen Finger darum, als wollte er es wie einen Stein übers Wasser schnellen lassen, und schleuderte es hinaus in den Nebel.
    Irgendwann während der Flaute kam ein Moment, wo es Mellas, verloren inmitten des wirbelnden Nebels, nicht mehr gelang, sich etwas vorzumachen, und er wusste, dass er Pollini tatsächlich umgebracht hatte – und er wurde von einer Leere überwältigt, die ihn in die Knie zwang. In seinem feuchten Loch sackte er zusammen, von zwei Schutzwesten umhüllt, und etwas in ihm zerbrach. Er war Zielscheibe eines grausamen Scherzes. Gott hatte ihm das Leben gegeben und vermutlich gelacht, als er es dazu verwendet hatte, Pollini umzubringen, um ein buntes Bändchen zu bekommen, mit dem er seinen Wert unter Beweis stellen wollte. Und ebendieser Wert war der Scherz. Er war nichts als eine Ansammlung bedeutungsloser Ereignisse, die als verblasstes Foto über dem Kamin seiner Eltern enden würden. Auch sie würden irgendwann sterben, und die Verwandten, die nicht wussten, wer das auf dem Bild war, würden es wegwerfen. Von der Vernunft her wusste Mellas, dass sich der Tod, wenn es kein Jenseits gab, nicht vom Schlaf unterschied. Aber die grausame Flut dieser Bilder entsprang nicht seiner Vernunft. Ihr fehlte die Kurzlebigkeit des Denkens. Sie war so real wie der Morast, in dem er hockte. Das Denken war auch nur Teil des Nichts, mit dem er sein ganzes Leben verbracht hatte. Die Gewissheit seines schließlichen Todes schüttelte ihn, wie ein Terrier eine Ratte schüttelt. Er konnte nur vor Schmerzen schreien.
    Sein Verstand schaltete sich ein. Wir werden entkommen. Stell dich tot, wenn sie uns schließlich überwältigen. Benutz nicht das Messer – stell dich tot, und nutze das Durcheinander des letzten Angriffs, um deine Flucht zu tarnen. Du wirst leben! Lass diese Marines und diesen falschen Begriff von Ehre hinter dir zurück. Geh in den Dschungel zu den anderen Tieren, versteck dich und bleib am Leben. Am Leben!
    Aber der Terrier, der ihn im Nacken gepackt hatte und schüttelte, lachte: Und dann? Eine Karriere als Jurist? Ein bisschen Prestige? Ein bisschen Geld? Vielleicht ein

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