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Matterhorn

Matterhorn

Titel: Matterhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Marlantes
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wäre erforderlich. Mellas hatte keine Lust mehr, über derlei nachzudenken.
    Wieder langweilte er sich und ging. Kurz vor 1500 – eine halbe Stunde, nachdem er Goodwin zum zweiten Mal allein gelassen hatte –, hörte er den einzelnen Schuss des M 16 , dann in rascher Folge zwei weitere. »Scar hat einen erwischt.« Der Ruf pflanzte sich über den Berg fort. Mellas rannte über die Bergkuppe, geduckt, falls das Feuer erwidert wurde.
    »Ich hab den kleinen Scheißer erwischt«, sagte Goodwin, als Mellas sich neben ihm zu Boden warf. Einer der Jungs, der als Absicherung für Goodwin fungierte, gab Mellas Fitchs Feldstecher. Ein Blick hindurch zeigte ihm, wie der tote Soldat in den Bunker gezogen wurde. »Ich hab ihn genau oben am Hals erwischt«, sagte Goodwin nüchtern. »Ich hab gewusst, irgendwann muss er rauskommen und pinkeln.«
    »Guter Schuss«, sagte Mellas. »Willst du versuchen, noch einen zu kriegen?«
    »Ist jedenfalls besser als Marschieren.«
    Der Nebel lichtete sich einen Moment lang, sodass die Kuppe des Helicopter Hill sich der NVA erneut zeigte. Ein einzelnes AK 47 ratterte kurz. Die Marines kletterten hastig in ihre Löcher. Doch das AK 47 schoss auf größere Entfernung noch ungenauer als das M 16 .
    Mellas lag flach auf dem Boden. Durst machte seinem Gehirn zu schaffen. Seine Lippen und seine Zunge fühlten sich wie Watte an. Ihm fiel auf, dass die NVA -Truppen ganz offensichtlich Feuerdisziplin wahrten. Mit ihren 7 . 62 -Maschinengewehren konnten sie ziemlich genau schießen, verzichteten aber darauf: Wie die Marines wollten sie keine Schlüsselverteidigungspositionen preisgeben. Doch sie hatten keine Bedenken, mit ihren SKS -Gewehren und AK 47 zu feuern, besonders nicht von dem kleinen Ausläufer, der nordöstlich des Matterhorns verlief.
    Goodwin reckte den Kopf über den Baumstamm, nachdem das Feuer verstummt war. »Die wissen nicht, wo wir sind, Jack«, sagte er ruhig. Er wandte sich ab und ging im Entengang, von dem toten Buschwerk abgeschirmt, von dem Baumstamm weg; dann stand er auf und pinkelte, den Blick direkt aufs Matterhorn gerichtet. Er kam zurück und legte sich hinter dem Baumstamm auf den Bauch. Er stützte das Gewehr auf dem Baumstamm ab und schmiegte die Wange an die Schulterstütze. »Siehst du den Scheißbunker mit dem kleinen Busch links davon, zwei neben dem, wo wir den Gook abgeschossen haben?«, sagte er zu dem Jungen mit dem Feldstecher.
    »Ja«, antwortete dieser. Beide ignorierten sie den Dienstgrad und das normalerweise obligatorische »Sir«.
    »Ich hab gesehen, dass sich da drin jemand bewegt, und den mach ich kalt.«
    Mellas’ Blick ging von Goodwin hinüber zum Matterhorn. Goodwins Geschick faszinierte ihn. Er wollte ebenfalls töten, wusste aber, dass er nicht annähernd so gut schießen konnte und sich nur blamieren würde. Außerdem besaß er nicht Goodwins Geduld. Mellas hasste die NVA nicht. Er wollte den Feind töten, weil das die einzige Möglichkeit war, wie die Kompanie von diesem Berg herunterkam, und er wollte überleben und nach Hause gehen. Außerdem wollte er töten, weil der brennende Zorn in ihm nirgendwohin konnte. Die Menschen, die er gehasst hatte – der Colonel, die Politiker, die Demonstranten, Schulhofschläger, die ihn als Kind schikaniert hatten, Nachbarskinder, die ihm sein Spielzeug weggenommen hatten, als er zwei war –, sie waren nicht verfügbar, die NVA -Soldaten dagegen schon. Auf einer ganz tiefen Ebene wollte Mellas schlicht den Fuß auf einen Körper setzen, den er gefällt hatte. Während er mit nicht geringem Neid Goodwin zusah, gestand er sich ein, dass er töten wollte, weil ein Teil von ihm vom Töten fasziniert war.
    In der Vandegrift Combat Base drängte sich der Bataillonsstab um mehrere große Karten.
    »Was meinen Sie, Lieutenant Hawke?«, fragte Simpson. »Sie haben überall in der Gegend operiert.«
    »Wie ich schon gestern sagte, Sir, wir haben drei vertikale Vegetationsebenen bis hinauf zum Kamm, und wenn man Glück hat, schafft man drei Kilometer am Tag, und das auch nur, wenn man die Absicherung total vernachlässigt.«
    Captain Bainsford meldete sich zu Wort. »Laut unseren Luftbeobachtern ist der nächste Ort, bevor die Wolkendecke alles einsuppt, Berg 631 .« Er zeigte auf einen sanft ansteigenden Hügel in dem breiten Tal südlich des Matterhorns. »Das sind nur neun Kilometer vom Matterhorn. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man dafür drei Tage braucht.«
    Hawke explodierte. »Das liegt daran, dass Sie

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