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Matterhorn

Matterhorn

Titel: Matterhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Marlantes
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Cortell. Wieder trat Schweigen ein.
    »Meinst du, wir kommen in den Himmel, wenn wir sterben?«, fragte Jermain.
    »Meinen tu ich gar nichts. Ich glaube, dass Jesus sich um uns kümmert, wenn wir sterben.« Cortell sah Jermain an. »Glauben ist was anderes als meinen.«
    Daran hatte Jermain eine Zeit lang zu knabbern. »Und wenn du schiefliegst?«
    Cortell lachte. »Und wenn du schiefliegst? Du warst dein Leben lang übler dran als ich. Die sichere Wette hab ich laufen, nicht du.«
    »Ich hab ja nicht gesagt, dass ich nicht glaube.«
    »Nein, du gehst bloß auf Nummer sicher und entscheidest dich nicht. Jesus will aber nicht, dass du auf Nummer sicher gehst. Du kommst nirgendwohin, wenn du dich nicht entscheidest.«
    »Ich will auch nirgendwohin, außer zurück in die normale Welt.«
    »Ja, da geht’s mir genau wie dir«, sagte Cortell. Er blieb einen Moment lang stumm. Dann sagte er: »Jeder hier meint, für mich wär’s leicht. Ich bin der gottgläubige gute Junge aus Mississippi mit seiner gottgläubigen guten Mami, und weil ich dieser dämliche Nigger vom Land mit seinem Gottesglauben bin, hab ich keine Probleme. Aber so funktioniert das nicht.« Er hielt inne. Jermain blieb stumm. »Ich hab gesehen, wie ein Tiger meinen Freund Williams gefressen hat«, fuhr Cortell fort. »Ich hab gesehen, wie eine Mine meinem Freund Broyer das Gesicht weggerissen hat. Was meinst du, was ich die ganze Nacht mache, rumsitzen und dem barmherzigen Jesus danken? Die Hände zum barmherzigen Himmel heben und Halleluja rufen? Soll ich dir sagen, was ich mache? Ich verlier den Mut.« Plötzlich schnürte es Cortell die Kehle zu und erstickte seine Worte. »Ich verlier den Mut.« Er holte tief Luft, bemüht, die Fassung wiederzugewinnen. Er atmete aus und fuhr ruhig und wieder beherrscht fort. »Ich sitz da und seh überhaupt keine Hoffnung mehr. Alle Hoffnung weg.« Cortell hatte seine toten Freunde vor Augen. »Dann wird der Himmel im Osten wieder grau, und weißt du, was ich dann mache? Ich beschließ noch mal ganz neu weiterzuglauben. Die ganze Zeit weiß ich, dass Jesus vielleicht nur irgendein Ammenmärchen ist und ich bloß ein Riesentrottel. Trotzdem entscheid ich mich.« Er wandte sich von seinen inneren Bildern ab und kehrte zurück zu der Schwärze der Welt um ihn herum. »Das ist nicht leicht.«
    Der Zug befand sich schon ein ganzes Stück weit im Dschungel, als Mellas sah, wie Jermain mit einem M 16 in der Hand an ihm vorbeistürzte. Ohne ein Wort gab er Jacobs das Gewehr und nahm seinen M 79 -Granatwerfer und die mit Granaten gefüllte Weste zurück. Jacobs drehte sich um und grinste Mellas an, sein Gesicht von einer Leuchtgranate erhellt. Jermain bewegte sich weiter vorwärts und wollte sich partout nicht umdrehen.
    »Hey, Jermain«, flüsterte Mellas schließlich während eines kurzen Halts.
    Jermain drehte sich mit bekümmertem Gesicht um.
    »Schauen Sie nicht so trübsinnig aus der Wäsche«, sagte Mellas sanft. »Ist Cortell auch gekommen?«
    »Ja. Der verrückte Motherfucker hat zu beten angefangen, und dann ist er abgeschoben, ohne mich zu fragen, ob ich mitkomme. Da bin ich auch abgeschoben. Verrückter.«
    »Wer, Sie oder er?«, fragte Mellas.
    Jermain lachte. »Keine Ahnung, Sir.«
    »Ich bin jedenfalls froh, dass Sie beide gekommen sind. Ich hoffe, Sie kriegen Ihren Urlaub.«
    »Ich auch, Sir.«
    Sie gingen weiter. Mellas beorderte Robertson zusammen mit Jermain und drei Neuen an die Spitze, weil er wusste, dass Robertson und Jermain Sky Cap miteinander erklettert hatten und sich gut verstanden. Gemeinsam kamen sie wahrscheinlich mit den Frischlingen klar.
    Die Neulinge fuhren bei jedem noch so kleinen Geräusch zusammen. Je näher sie dem Matterhorn kamen, desto lauter wurde der Artilleriebeschuss. Robertson setzte ganz langsam einen Fuß vor den anderen und schob sich auf den Rand des Dschungels zu. Die ganze Linie wartete, während sich Robertsons Gruppe vorwärtsschob, sich auf die gefährlichen offenen Schussfelder zutastete, die die Bravo-Kompanie selbst geschaffen hatte.
    Mit Anbruch der Dämmerung wurde der Nebel allmählich grau. Dann hob Robertson die Hand. Er drehte sich um und flüsterte etwas, was Mellas durch das Dröhnen der Artillerie hindurch nicht hören konnte. Mellas wusste, sie hatten den Dschungelsaum erreicht. Geduckt arbeitete er sich vorwärts. Robertson lag knapp einen Meter vor dem gerodeten Gelände auf dem Bauch und spähte nach vorn.
    Vor ihnen stand, inzwischen hässlich und kahl,

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