Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Matterhorn

Matterhorn

Titel: Matterhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Marlantes
Vom Netzwerk:
Sekunden gedauert. Der Junge, den Jacobs geborgen hatte, war tot.
    Inzwischen kauerten sie zu viert mit einem Toten hinter dem Baumstamm. Mellas murmelte und betete laut vor sich hin, obwohl keiner ihn hören konnte: Sein Gesicht war gegen den Boden gepresst. Warum, Gott, warum haben sie das Napalm nicht abgeworfen? Warum haben sie nicht gewartet, bis es aufklart, und den Scheißberg dann einfach abgefackelt? Warum machen wir das jetzt? Warum bewegt sich denn keiner?
    Die Luft vibrierte von Lärm, Kugeln und Wahnsinn. Sie lagen nun schon seit über dreißig Sekunden hinter dem Baumstamm.
    Jermain kam auf die Gruppe hinter dem Baumstamm zugerannt. Kugeln pfiffen an ihm vorbei. »Scheiße, hier ist kein Platz mehr, Jermain«, brüllte Mellas, aber Jermain ignorierte ihn und rannte weiter. Er warf sich auf Mellas und Jackson und presste Mellas schlagartig den Atem aus der Lunge.
    Er hat es geschafft, dachte Mellas.
    Jermain atmete schwer, und seine Augen huschten wild hin und her. Aber er hatte es geschafft, ohne getroffen zu werden. Dieser Gedanke ließ Mellas nicht mehr los. Bemüht, das Feuern zu ignorieren, wollte er das Gesicht wieder zum Boden drehen, ließ sich von Lärm und Durcheinander paralysieren, doch Jermain brüllte: »Ich weiß, wo das Scheiß- MG ist, Lieutenant.«
    Mellas hätte am liebsten zurückgebrüllt: Na und, Scheiße noch mal? Ich geh da nicht rauf. Ich geh da nicht rauf, bloß damit irgendein Scheißcolonel einen Scheißorden kriegt. Stattdessen sagte er: »Na, dann schießen Sie auf den Motherfucker«, und presste das Gesicht gegen die wunderbare Erde.
    Jermain wälzte sich von Mellas und Jackson herunter ans Ende des Baumstamms. Er feuerte eine Granate ab, dann zog er den Kopf wieder ein, während die Erde vor dem Baumstamm und auf mehreren Hundert Metern dahinter von MG -Kugeln zerpflügt wurde.
    Fitch brüllte irgendetwas über Funk. Jermain fuhr erneut hoch, feuerte eine zweite Granate ab, dann eine dritte. Angesichts des Lärms konnte Mellas nicht hören, was Fitch sagte. Er hielt sich ein Ohr zu. Fitchs Stimme sagte: »Scheiße, was ist da drüben los? Two ist festgenagelt. Sie kommen nicht von der Stelle. Three hat es auf dem Ausläufer mit mindestens fünf Stellungen zu tun. Der verdammte Berg ist auf der gesamten Vorderseite mit MG s gespickt. Was geht da drüben vor sich, Scheiße noch mal? Over.«
    Mellas keuchte. Er wusste nicht, was er antworten sollte. Er hörte einen gellenden Schrei. Jermain, durch die Schulter geschossen, taumelte und fiel auf Jackson, während Blut unter seiner Schutzweste hervorrann. Jackson stieß ihn von sich, und das Blut bespritzte Mellas. Fredrickson griff herüber und stopfte ein Verbandspäckchen in das Austrittsloch in Jermains Rücken, während Jacobs sich den M 79 schnappte und wütend auf das MG zu feuern begann, das Jermain sich vorgenommen hatte.
    Mellas betrachtete das Blut auf seinen Armen, seiner Hand und auf Jermains verzerrtem Gesicht. Plötzlich schien er über der Szene zu schweben und die ganze Kompanie im Blick zu haben. Alles lief in Zeitlupe und auf verschwommene Weise ruhig ab.
    Jermain würde wahrscheinlich sterben.
    Eine Explosion in Goodwins Abschnitt erschütterte den Berg.
    Sie lagen nun schon etwas länger als eine Minute hinter dem Baumstamm.
    Mellas schwebte hoch über dem Berg. Er sah die Reihe Marines, die sich unter ihm hinzog, einige, die vor Schmerzen um sich schlugen oder sich wanden, andere, die still lagen. Er sah die Leute, die er kannte, noch am Leben, bemüht, am Leben zu bleiben, hinter Baumstämmen, in kleinen verdeckten Stellungen, wo sie am liebsten mit der Erde verschmolzen wären. Er betrachtete die Bunker. Er sah das ineinandergreifende Feuer wie auf einer Zeichnung. Er sah das MG , das Jermain attackiert hatte – und er wusste Bescheid. Er schwebte zurück zum Taktikunterricht in der Basic School, wo ein rothaariger Major sagte, jüngere Offiziere seien weitgehend überflüssig, weil die Corporals und Sergeants mit so gut wie allem selbst fertigwürden. Aber irgendwann werde ein Zeitpunkt kommen, da würden sich die jüngeren Offiziere jeden Penny ihres Solds verdienen, und wenn es so weit war, würden sie es wissen.
    Mellas kehrte auf den Berg zurück. Seine Zeit war gekommen.
    Er sah den Qualm des brennenden Napalms. Er sah, was die Tür durch das ineinandergreifende Feuer öffnen würde, und es befand sich direkt vor ihm und schoss auf ihn.
    Mellas drückte den Sprechknopf des Funkgeräts. »Bravo Six,

Weitere Kostenlose Bücher