Matterhorn
hier ist Bravo Five. Over.« Als blickte er sich selbst über die Schulter, sah sich Mellas dabei zu, wie er Fitch über Funk ganz ruhig die Lage schilderte. Er kam sich vor, als läse er einen Text ab. Er war nicht mehr da und leitete die Szene irgendwie von oben oder von ganz woanders.
Er wartete nicht auf eine Antwort. Er gab Jackson den Handapparat. Warum Jermain? Warum gerade der, der sich freiwillig gemeldet hatte, während die Arschlöcher in der Etappe blieben? Warum starben seine Freunde? Es schien nur einen Ausweg aus dem Albtraum zu geben. Dieser Ausweg war das eine Maschinengewehr.
» MG nach vorn«, schrie Mellas. »Scheiße, schafft ein MG nach vorn.« Irgendwie musste er das Feuer des Maschinengewehrs auf sich ziehen.
Ein Neuer kam mit einem M 60 angerannt; ein Ladeschütze mit den schweren Stahlkästen voller Munitionsgurte folgte ihm mühsam. Die Augen des MG -Schützen waren verstört vor Angst und Schmerz. Er war an der linken Wade getroffen. Mellas sah, wie sich Blutspritzer von seinem durchweichten Hosenbein lösten. Trotzdem kam er mit letzter Anstrengung vorwärtsgewankt. Er warf sich auf Fredrickson und wälzte sich gerade noch zur Seite, ehe sein Ladeschütze auf ihnen landete. Seine Augen leuchteten weiß in seinem schwarzen Gesicht. Mellas kam der Gedanke, dass dieser Junge, wenn er nicht hier wäre, jetzt vielleicht auf dem Basketball-Feld seiner Highschool zeigen würde, was er draufhatte.
»Sie fangen an, auf diesen Scheißbunker zu schießen. Den da«, schrie Mellas ihn an und deutete gerade voraus. »Nicht aufhören.« Der Neue nickte. Er ließ Blut zurück, als er sich bewegte. Mellas konnte es rhythmisch quellen sehen. Eine Arterie, dachte er geistesabwesend. Dem Jungen blieben vielleicht noch drei, vier Minuten Bewusstsein.
Der Junge legte das M 60 auf den Baumstamm auf und zog die Schulterstütze ein. Das Maschinengewehr bellte. Dann ging es zu den disziplinierten, laufschonenden, kurzen Feuerstößen des ausgebildeten MG -Schützen über. Mellas empfand Erleichterung. Stumm dankte er irgendeinem Ausbilder in Camp Pendleton.
Der NVA -Schütze antwortete. Das Duell gewann an Intensität. Das Dröhnen nahm zu. Die beiden Neuen feuerten einfach weiter, die Augen fast ganz zusammengekniffen, als könnte das Zusammenkneifen sie vor den Kugeln schütze.
Mellas lenkte das Feuer von Jakes M 79 auf einen zweiten Bunker gleich links von dem NVA -Maschinengewehr. Er hatte vor, dessen Besatzung mit dem Rauch und den Erdbrocken der Explosionen die Sicht zu nehmen. »Sie schießen immer nur auf den Eingang. Nirgendwo anders hin, egal, was ich mache«, sagte er. Jacobs nickte und lud den Granatwerfer nach. Mellas hakte eine Granate von seinem Gurtzeug los und flüsterte: »Lieber Gott, bitte hilf mir jetzt.« Er spürte, dass dies möglicherweise sein letzter Lebensmoment war, hier hinter diesem Baumstamm mit diesen Kameraden, und er wusste, dieser Moment war unbeschreiblich kostbar. Mit der Angst stellte sich eine sehnsüchtige Trauer ein, und er blickte noch einmal in die angespannten Gesichter seiner Kameraden. Er befeuchtete sich die Lippen und sagte Auf Wiedersehen, stumm, denn er wollte die Sicherheit des Baumstamms und ihre warmen Leiber nicht verlassen.
Dann stand er auf und rannte los.
Er rannte, wie er noch nie gerannt war, weder voller Hoffnung noch voller Verzweiflung. Er rannte, weil die Welt in Gegenseiten zerfiel und ihm seine Seite zugeteilt war und weil er nur die Wahl hatte, ob er seine Rolle mutig und beherzt spielen wollte oder nicht. Er rannte, weil das Schicksal ihn in eine verantwortliche Position gebracht und er die Bürde akzeptiert hatte. Er rannte, weil seine Selbstachtung es verlangte. Er rannte, weil er seine Freunde liebte und dies das Einzige war, was er tun konnte, um den Wahnsinn zu beenden, der sie tötete und verstümmelte. Er rannte direkt auf den Bunker zu, wo die Granaten von Jakes M 79 explodierten. Links von ihm sausten die Kugeln des M 60 durch die Luft, pfiffen an ihm vorbei, wimmerten wie gequälte Katzen, knallten wie die Bullenpeitsche des Todes. Er rannte und hatte sich noch nie im Leben so allein und verängstigt gefühlt.
Er passierte die breite Lücke im Stacheldrahtverhau und rannte weiter. Der Bunker lag nur noch fünfzig Meter oberhalb von ihm. Er wartete immerzu auf die Kugel, die dem Gerenne ein Ende machen und ihn zwingen würde auszuruhen. Er wünschte sich die Kugel beinahe, damit er nicht mehr die schreckliche Verantwortung des
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