Matterhorn
stämmiger war, kam hinter ihnen. Alle drei erfüllte eine Furcht, die sie vorwärtsschob wie eine Hand auf dem Rücken, die mit ihnen dahinraste, während der niedrige Bodennebel ihre rennenden Füße umwirbelte.
Die Explosion zerriss die Luft und jagte Mellas noch schneller vorwärts, ließ ihn, wenn auch in völliger Verzweiflung, rennen, wie er noch nie gerannt war.
Dunkle Schatten flitzten vom Zelt weg. Mellas stürzte direkt hinter Mole durch den Eingang. Drinnen war nichts zu sehen. Er roch den übelkeiterregenden, scharfen Geruch von TNT . Er stolperte zu der Pritsche hinüber, auf die er Hawke gelegt hatte. Die Granate war direkt unter ihm explodiert. In der Luft schwebten noch Teilchen der Matratzenfüllung. Was von der zerfetzten Matratze übrig war, war blutgetränkt. Er ließ die Hände über den schlaffen Körper gleiten, um festzustellen, woher die Blutung kam. »Holt eine Lampe!«, schrie er. »Holt eine Lampe, Scheiße noch mal!« Hawke lag mit dem Gesicht nach unten. Mellas ertastete Hawkes Kopf und fasste nach dem Puls am Hals. Da war nichts. Er tastete unter dem Körper nach der Brust und traf nur auf eine warme, breiige Masse. Hawke hatte auf dem Bauch gelegen, als die Granate unter ihm explodiert war.
Mellas hörte draußen Schritte, dann fiel der Strahl einer Taschenlampe zum Eingang herein. Jemand schrie nach einem Sanitäter, aber Mellas wusste, dass es zu spät war. Das Licht beschien Hawkes Gesicht. Seine Augen waren offen. Er musste gehört haben, wie die Granate auf dem Boden aufschlug, unmittelbar bevor sie explodierte.
China stand mit der Taschenlampe zitternd im Zelteingang. Mole hatte ihm den Arm um die Schultern gelegt und redete leise auf ihn ein. Beide sahen sie Mellas entsetzt an.
Mellas begann zu zittern. Außerstande, das Zittern zu beherrschen, hockte er sich auf die Fersen, hielt sich an Hawkes Pritsche fest, sah in Hawkes offene Augen. Hinter ihnen war kein Hawke.
»Mach’s gut, Jayhawk«, sagte er und schloss die Augen.
Dann stand er auf und sah Mole und China an. Am liebsten hätte er sie zusammengeschlagen, ihnen die Zunge herausgeschnitten, weil sie den Mund gehalten hatten, bis es zu spät gewesen war, Mordanklagen herausgeschrien und sie ins Gefängnis gebracht. Zugleich wusste er, dass damit nichts gewonnen wäre außer noch mehr Hass und Bitterkeit. Gerechtigkeit im Krieg war ein Fetzen Papier im Wind. Falls er Henry beschuldigte, würde er China und Mole mit hineinziehen, und das wollte er nicht. Ihre einzige Sünde war eine, die er selbst oft genug begangen hatte: den Mund nicht aufgemacht zu haben. Außerdem mochte er sie, und die Kompanie konnte es sich nicht leisten, ihre beiden besten MG -Schützen zu verlieren. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er wie der Kompaniechef dachte. Er hatte sich um zweihundert Marines zu kümmern. Mit seinem Gewissen konnte jeder selbst zurechtkommen. An Gerechtigkeit oder Bestrafung – jedenfalls an der Art von Gerechtigkeit, für die die Gerichte standen – lag Mellas nichts mehr. Rache würde nichts heilen. Rache hatte keine Vergangenheit. Sie setzte nur etwas in Gang. Sie schuf nur noch mehr Verlust, noch mehr Schaden, und er wusste, dass der Schaden und der Verlust dieser Nacht niemals gutgemacht werden konnten. Die Löcher des Todes ließen sich nicht füllen. Die Leere mochte sich im Lauf der Jahre mit anderen Dingen – neuen Freunden, Kindern, neuen Aufgaben – füllen, aber es würden immer Löcher bleiben.
Mellas sah Hawkes Konservendosen-Becher an seinem Gurtzeug hängen, das er über eine Stuhllehne geworfen hatte. Er hakte ihn los und stopfte ihn in eine seiner Taschen. »Ihr zwei verschwindet besser von hier«, sagte er ruhig zu Mole und China, während er an ihnen vorbei hinausging.
Mellas wartete die unvermeidlichen aufgeregten Untersuchungen ab. Die Bravo-Kompanie mauerte bis auf den letzten Mann, genau wie er selbst. Er wusste nur, dass er geschlafen hatte, als die Granate hochgegangen war. Etwaige Ermittler würden selbst zu Henry finden müssen. Wenn nicht, dann war es eben so. Wenn doch, würden die Beweise für einen Prozess nicht ausreichen, von einer Verurteilung ganz zu schweigen. Außerdem musste ein Krieg geführt werden, und von einer langen, zeitraubenden Morduntersuchung würde niemand profitieren.
Als die Aufregung sich langsam legte, ging Mellas allein bis zum Rand der verlassenen Landebahn und legte sich in den Morast. Er weinte, bis er nicht mehr weinen konnte. Dann lag er einfach da,
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