Matterhorn
Leise sank die Marschkolonne ins Gras. Vancouver legte sich neben dem Pfad auf den Boden, sein Gewehr zielte auf die Stelle, wo der Pfad eine Biegung machte. Alles wartete, ob ein Marine oder ein NVA -Soldat um die Biegung kommen würde. Kurz darauf hörte Trupp an der Spitze das Geräusch eines im Morast Ausrutschenden. Dann noch ein paar Schritte. Dann trat unheimliche Stille ein. Keine Bewegung. Kein Geräusch.
Connolly wandte sich Mellas zu und sah ihn mit hochgezogenen Brauen an. Mellas nickte bestätigend. Connolly flüsterte: »Hey, Alpha. Das hier ist Bravo.«
Eine Stimme flüsterte zurück: »Mein lieber Mann. Bin ich froh, euch zu hören.« Die Stimme hob sich zu leiser Sprechlautstärke. »Wir sind da. Ich hab gerade die Bravo-Kompanie gehört.« Vorsichtig kam der vorderste Mann der Alpha-Kompanie um die Biegung, tief geduckt, mit hin und her huschendem Blick. Vancouver hob die Hand, und der Mann entspannte sich. Er schob den Umschalthebel seines Gewehrs von Feuerstoß auf Sicher. Er war abgezehrt, die Dschungelfäule in seinem Gesicht sah übel aus. Er lächelte nicht, als er an den stillen Marines der Bravo-Kompanie vorbeischlich. Gleich darauf kam ein weiterer Mann um die Biegung, dann noch einer. Irgendwann tauchte ein Funker auf. Bei ihm war ein hochgewachsener, dünner, jung aussehender Lieutenant, dem der Tarnanzug am Körper klebte. Er zitterte, erstes Anzeichen einer Unterkühlung. Er blieb vor Mellas stehen und ließ seinen Zug vorbeigehen.
»Charlie noch in der Zone?« Seine Stimme war heiser und müde.
»Einige waren noch da, als wir los sind«, antwortete Mellas. »Mittlerweile sind sie vielleicht schon in der VCB . Ich hab keine Vögel mehr kommen hören.«
»Wahrscheinlich haben sie vergessen, dass wir auch noch da sind. Scheiße. Zuerst erzählen sie uns, Charlie geht aufs Matterhorn und wir gehen auf den Eiger. Dann haben wir gehört, alles geht in die VCB . Irgendeine beschissene Operation in der Gegend von Cam Lo. Jetzt heißt es auf einmal wieder, wir gehen auf den Eiger. Da blickt doch kein Schwein mehr durch. Hey, kennst du diesen Scheißiren, Jack Murphy?«
»Hab ihn gerade kennengelernt.«
»Der schuldet mir Bourbon für fünfzig Flocken. Er hat behauptet, schlimmer als bei der Operation in der DMZ könnten wir auf keinen Fall gefickt werden. Hast du eine Zigarette?«
»Nein, tut mir leid.«
Hamilton zog lässig seinen eigenen Plastikbehälter aus der Tasche, klappte den Deckel auf und bot dem Lieutenant und dessen Funker eine Zigarette an. Ihre Hände zitterten, als sie sie dankbar anzündeten. Mellas war über das fehlende Sicherheitsbewusstsein entsetzt. Zigarettenrauch war kilometerweit zu riechen. Der hochgewachsene Lieutenant stieß eine große Rauchwolke aus und seufzte. Er wandte sich an eine der erschöpften Gestalten, die vorbeikamen. »Wer hat den Toten?«
»Ich weiß nicht, Sir.«
»Scheiße.« Er wandte sich an Mellas. Eindeutig dem Zusammenbruch nahe, nahm er einen weiteren langen Zug von seiner Zigarette. »Wir haben seit vier Tagen nichts gegessen.« Es war eine schlichte, ehrliche Feststellung. In diesem Augenblick kamen vier Marines um die Biegung des Pfades. Sie trugen eine schwere Last, die zwischen ihnen in einem an zwei Stangen hängenden Poncho hing. Einer der Männer sah wütend aus; die anderen drei wirkten völlig benommen, ihre Gesichter waren abgezehrt, nass, verdreckt. Aus dem Poncho ragte ein weißer, leicht aufgedunsener Arm in die Luft. Schwer atmend setzten die Träger ihre Last ab. Mit den Stangen auf dem Boden lag der Poncho ausgebreitet zwischen ihnen und zeigte eine nackte Leiche. Der wütend aussehende Marine spie seine Worte zwischen schweren Atemzügen aus.
»Wie weit noch, Lieutenant?«
Er richtete die Worte an den hochgewachsenen Lieutenant, doch Mellas antwortete.
»Ungefähr sechshundert Meter.«
»Sechshundert! Scheiß die Wand an. Wieso schleppen wir ihn nicht gleich bis zur VCB ? Miese Schwanzlutscher.«
»Immer mit der Ruhe«, sagte der hochgewachsene Lieutenant müde.
»Die haben ihn umgebracht, Lieutenant. Scheiße, die haben ihn fertiggemacht, und ich soll mich beruhigen. Leck mich doch.« Am Hals des wütenden Marine zeichneten sich Reihen straffer Sehnen ab. Der Lieutenant gab ihm seine Zigarette, ohne etwas zu sagen. »Danke«, sagte der Wütende. Er setzte sich hin und nahm einen tiefen Zug, während die anderen Angehörigen der Kompanie über ihn und die Leiche hinwegstiegen; dann reichte er die Zigarette
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