Matti & Dornröschen 01 - Das Dornröschen-Projekt
in einer Tür neben dem Glaskasten. Er war immer noch hager, das Gesicht knochig, die Augenhöhlen etwas eingefallen, die kurzen roten Haare standen ungebändigt in der Luft. Neu waren nur eine rahmenlose runde Brille und der Anzug, in dem er steckte und der aussah wie geklaut oder geliehen. Als sich ihre Blicke trafen, sah Matti, wie Norbi zusammenfuhr. Dann kam er.
»Mensch, Matti.«
»Tag, hast du Zeit, zehn Minuten?«
Norbi schaute auf die Uhr, zwei Mal, fahrig, als hätte er beim ersten Mal die Uhrzeit nicht begriffen. Er war blass. Das schlechte Gewissen, dachte Matti. Und vielleicht Angst. Norbi schaute wieder auf die Uhr. Dann sagte er: »Geh ein Stück die Straße hinunter, da gibt’s den Biertempel 2 . Bin gleich da.« Er schaute sich hektisch um.
»Okay, kenne ich«, sagte Matti und ging grußlos.
Er musste ein Stück zurücklaufen in die Richtung, aus der er gekommen war, aber nur bis zur Kreuzung. Er nutzte den Weg, um hastig eine Zigarette zu rauchen, deren Rest er auf die Straße schnalzte, als er vor der Kneipe stand. Großes Frühstück 1,99 € prangte unter dem Kneipennamen über dem Eingang. Er ging hinein. Der Biertempel war unglaublich geschmacklos eingerichtet. Fast in der Mitte des ersten Gastraums stand als Lampenständer eine weiße Frauenstatue, auf einem Sims vor der unverputzten Backsteinwand erkannte Matti eine beigefarbene Statuette, daneben hingen als Wandleuchter zwei Eisentulpen. Neben dem nackten Lampenständer stand ein runder Tisch, aus dem ein mondsichelförmiges Teil geschnitten war, damit Barhocker herangestellt werden konnten. Es waren fünf Gäste anwesend, ein Pärchen und drei einsame Esser. Matti setzte sich auf eine Rundbank in der Ecke des Gastraums mit Blick zur Tür. Irgendwoher zog Zigarettenrauch an seine Nase.
Die Kellnerin, eine kleine Schwarzhaarige unbestimmbaren Alters, mit schwarzem Rock, grauer Bluse und weißer Schürze, legte eine kleinformatige Speisekarte auf den Tisch. Auch die Schrift war klein, aber Matti wollte nur einen Kaffee trinken. Er klappte die Karte gleich wieder zu.
Die Tür öffnete sich, Norbi trat ein. Er wirkte verschüchtert. Er hatte natürlich hektisch überlegt, warum Matti plötzlich aufgetaucht war nach so vielen Jahren. Und vor allem, nachdem er auf dem Mariannenplatz abgehauen war. Niemand hatte Norbi fragen können damals. Er war verschwunden, angeblich nach München, andere sagten Paris, und die Dritten laberten vom Stadtguerillakampf in Lateinamerika, aber das waren die Letzten, die an Norbis Unschuld glaubten, und es waren nicht viele. Dann war Gras über die Sache gewachsen, bis Norbi eines Tages am Kotti-Imbiss gesehen wurde. Auf den Linken Buchtagen im Mehringhof sprach er Dornröschen an und tat so, als wäre nie was gewesen. Und erzählte, er arbeite nun in einem Ingenieurbüro in Tempelhof.
Zirkel-Norbi setzte sich auf einen Stuhl mit einem fisseligen Stoffbezug Matti gegenüber.
Die Kellnerin erschien, und Norbi bestellte eine Tasse Kaffee.
»Also, ich habe nicht so viel Zeit«, sagte er. »Auftrag, du weißt, so was wie feste Arbeitszeiten gibt’s nicht …«
Matti winkte ab. Er legte die DVD auf den Tisch und hatte ein Scheißgefühl. Wenn Norbi ein Spitzel war, rannte er gleich zu den Bullen. Aber, dachte Matti, dann entlarvt er sich, dann ist es klar. Und dann kann er sich in Berlin nirgendwo mehr blicken lassen. Dann macht er sich jeden Tag und jede Nacht in die Hose. Eigentlich konnte man bei keinem sicherer sein als bei Norbi, dass die Sache unter der Decke blieb.
»Pass auf«, sagte Matti. Er zeigte auf die DVD . »Da sind Zeichnungen drauf, Konstruktionszeichnungen. Und ich will wissen, was die darstellen.«
Norbi nickte hektisch. »Kann ich mal gucken, mach ich gerne. Aber keine krummen Sachen …«
Matti winkte ab, souverän. »Das ist nichts Unrechtes.«
»Gut«, sagte Norbi. »Aber ich muss sehen, wann ich die Zeit finde. Und wann ich allein bin im Büro.«
Die Kellnerin erschien mit dem Kaffee. Matti bezahlte gleich, aber nur für sich.
»Dann arbeitest du heute vielleicht ein bisschen länger. Überstunden oder so.«
Norbi nickte wieder. »Ich versuch’s.«
Matti schrieb seine Handynummer auf einen Bierdeckel und schob ihn Norbi zu. »Gib mir mal deine Nummer.«
Norbi zog eine Visitenkarte aus der Tuchtasche des Jacketts und reichte sie Matti. Der steckte sie ein und sagte: »So schnell, wie es geht, ja?«
»Heiße Sache, was? Ein Dornröschen-Projekt …« Es klang zu
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