Matti & Dornröschen 01 - Das Dornröschen-Projekt
so bescheuert seid weiterzumachen, also, wie gesagt, dann könnt ihr auch hier tagen. Hier kommt so schnell keiner rein. Obwohl, garantieren kann ich es nicht. Diese Typen sind mir unheimlich.« Und es schien so, als fröstele sie.
Er legte seine Arme um sie. Sie sagten lange nichts. Dann gingen sie schlafen, ohne aufzuräumen. Sie lagen eng umschlungen und schliefen so ein. In der Nacht träumte er von einem gigantischen Röhrensystem, in dem es rumorte und vibrierte, metallische Schläge, aber es hatte keinen Anfang und kein Ende. Und dann, als er halb wach lag, ihre Hand warm auf seinem Oberschenkel, da spürte er den Schmerz über Konnys Tod wie einen Krampf. Er begriff aber auch, dass er es besser ertrug, wenn er mit Lily zusammen war.
Ülcan beschwor den Allmächtigen und den Propheten, er verfluchte die Betrüger und Halsabschneider, die Geizigen und die Gottlosen und vor allem Matti, als der nach einer kurzen Nacht in der Manitiusstraße auftauchte. Aldi-Klaus, der auf der Treppe vor dem Büro saß und Kaffee trank, grinste freudig. Matti hätte es nicht gewundert, wenn der Istanbul-Kalender von der Wand gefallen wäre oder sich Risse ins Gemäuer hineingefressen hätten oder wenn sogar der Unabbildbare höchstpersönlich aufgetaucht wäre, um ihn, den pflichtvergessenen Taxifahrer des allzeit gnädigen und gottesfürchtigen Ülcan, zu geißeln. Kein Zweifel, dass er es verdient gehabt hätte, betrachtete man die Sache aus Ülcans Augen. Das gab Matti insgeheim zu. Er tippte aber darauf, dass sich der Zorn des kleinen Mannes hinter dem Schreibtisch zu achtzig Prozent wegen eines innerfamiliären Verbrechens entzündet hatte, über das Ülcan niemals Auskunft geben würde, zu zwanzig Prozent wegen der Verluste, die seine nichtswürdigen Fahrer seit Jahrzehnten anhäuften, und zu maximal fünfzehn Prozent wegen Matti, der also von dem hundertfünfzehnprozentigen Zorn einen gerechten Anteil übernahm, sich aber hundertprozentig nicht beeindrucken ließ. Er schwieg einfach, wie immer, wenn Ülcan ausrastete. Wieder blieb der Kalender hängen, und wieder blieb die Wand heil. Und wieder schnappte sich Matti wortlos den Schlüssel, stiefelte die Treppe hinunter, vorbei am dauergrinsenden Aldi-Klaus, setzte sich ans Steuer und fuhr los.
Am Himmel kündigte sich ein Sonnentag an, doch der Wind war immer noch kühl an diesem Morgen. Er fuhr aus dem Tor und bremste, weil ein VW -Käfer mit kaputtem Auspuff heranröhrte. Darin eine junge blonde Frau mit Pferdeschwanz und einem Lächeln im Gesicht. Als der Käfer vorbeigezogen war, fuhr Matti los, bremste aber sofort noch einmal, er hätte fast eine Frau übersehen, mit Kinderwagen, einem schwarzhaarigen Jungen an der anderen Hand und einem Hund, dessen Leine am Kinderwagen verknotet war.
Auf der Straße schaute er sofort in den Rückspiegel, aber da gab es keinen Audi. Auch kein anderes Auto. Er musste lächeln, als ihm einfiel, dass das Peilgerät immer noch am anderen Taxi hing. Er beschloss, zum Hauptbahnhof zu fahren, dort konnte er sich in die Schlange stellen und nachdenken. Und vielleicht ein paar Zeilen Konfuzius lesen. Aber auf dem Tempelhofer Ufer, kurz nach der Kreuzung mit dem Mehringdamm, stand eine alte Frau mit einem Koffer und winkte. Matti spürte kurz den Impuls, sie zu übersehen, doch dann hielt er an. Sie hatte weiße Haare und eine schwere schwarze Brille auf der Nase. Matti durchzuckte der Gedanke, ob sie eine Killerin sein könnte, das wäre die beste Tarnung. Und er sagte sich gleich, er sei verrückt, auf dem besten Weg, sich eine Paranoia einzufangen. Aber manchmal, widersprach er sich, manchmal werden auch Paranoiker verfolgt.
»Nun, junger Mann, wollen Sie vielleicht …«
Er erschrak, sprang aus dem Auto und hievte das Gepäck in den Kofferraum. Dann öffnete er ihr die Tür hinterm Beifahrersitz, und sie stieg huldvoll ein. »Sedanstraße, Spandau«, sagte sie. Wenigstens lohnte sich die Tour. Matti sortierte die Straßen im Hirn. »Die geht von der Straßburger ab«, sagte er mehr, um etwas zu sagen, denn als Entschuldigung für seine Unhöflichkeit.
»Ja, genau«, aber sie war doch indigniert. »Vielleicht können Sie den kalten Zug …«, sagte sie.
Matti schaltete die Klimaanlage aus und öffnete das Schiebedach einen Spalt. »Wenn es noch zieht, sagen Sie es bitte.«
Er spürte die wärmer gewordene Luft. »Schönes Wetter«, sagte Matti, immer noch bemüht, die Stimmung der Dame aufzuhellen. Aber die antwortete
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