Matti & Dornröschen 01 - Das Dornröschen-Projekt
Rauch, auf dem Schreibtisch stand ein Drehaschenbecher, darauf eine qualmende Zigarette. Die Frau lugte Dornröschen durch eine elliptische Brille an, die ihr ungefähr so gut stand wie einem Känguru. Am ehesten glich sie einer Brillenschlange, die die schnellsten Mäuse schon nicht mehr kriegte.
»Sie wünschen?«
»Ich habe einen Termin bei Herrn Wittmann.«
»Ach, Frau Winter wie Sommer.« Sie lächelte falsch wie eine Natter.
»Ja, die bin ich«, sagte Dornröschen schüchtern, als würde sie das Ambiente gewaltig beeindrucken.
»Na, dann wollen wir mal schauen, ob Herr Wittmann schon Zeit für Sie hat.« Die Brillenschlange nahm den Telefonhörer, meldete Frau Winters Eintreffen, nickte, bedankte sich vielmals und legte auf. »Bitte!« Sie deutete auf eine Tür hinter ihr.
Dornröschen klopfte und öffnete fast gleichzeitig, dann ermahnte sie sich, schüchtern zu bleiben. Sie streckte vorsichtig ihren Kopf hinein, als fürchtete sie ein Untier in dem erstaunlich kleinen Raum, sah dann aber einen Mann von vielleicht fünfundfünfzig Jahren mit ergrauendem Haar, das vorne schon die Stirn glänzen ließ. Der Mann war die vollendete Durchschnittlichkeit, auch in seinem Gesicht fand sich nichts Markantes, sah man davon ab, dass es auffällig unsymmetrisch erschien, auch wenn sie nicht bestimmen konnte, was diesen Mangel ausmachte. Als sie näher kam, erkannte sie, dass ihm aus der Nase kräftige Haare wuchsen. Wittmann saß selbstgefällig und bewaffnet mit einem Friseurlächeln hinter einem Schreibtisch aus grau lackiertem Pressspan. Auf der Backe zeigte sich eine kleine Verletzung, die vom Rasieren stammen mochte. An der Wand hinter ihm hingen Fotos mit Waldlandschaften, an der Seite ein Plakat der Boxstaffel des Polizeisportvereins, das originellerweise die Gestalt eines äußerst muskulösen Boxers in Ausgangsstellung präsentierte. Ein kleines Foto darunter zeigte einen Mann in einer DDR -Uniform, sie erkannte mit einiger Mühe Wittmann darauf, konnte die Uniform aber nicht einsortieren.
Wittmann blieb sitzen, und Dornröschen ging unsicher zum Schreibtisch und stellte sich neben den Besucherstuhl.
»Sie sind also Frau Winter«, sagte er.
Dornröschen nickte.
»Haben Sie denn schon mal geputzt, also richtig …«
Dornröschen nickte. Sie hatte sich ihr Studium unter anderem so verdient, aber das durfte sie nicht sagen. »Richtig.« Sie nickte schüchtern.
»Und wo?«
»Da, wo ich herkomme, also bei Frankfurt … Main.«
»Und was?«
»Büros, Läden, Wohnungen, Gaststätten …«
»Gut«, sagte er.
Auf dem Schreibtisch lagen nebeneinander zwei Stapel mit Akten und eine dreistöckige Ablage, obenauf erkannte sie ein Steuerformular. Dann waren da noch ein Kalender und eine lederne Schreibunterlage mit Silberrand.
Er lehnte sich zurück, verschränkte die Hände hinter dem Nacken und musterte sie ungeniert. Sie erkannte eine schmale Narbe am Mundwinkel und einen Pickel an der Nase. Der Kragen seines grob karierten Hemds war fettig, er trug eine schwarze Lederweste darüber. Als er mit der Sichtung fertig war, sagte er gönnerhaft: »Die Dünnen sollen ja besonders zäh sein.« Er dachte nach oder tat so, dann klopfte er einmal mit der flachen Hand auf die Tischplatte, um schließlich zu erklären: »Also gut, wir versuchen das mal. Wissen Sie, im Augenblick habe ich nichts, aber im Krankheitsfall …« Er beendete den Satz nicht. »Lassen Sie sich draußen mal die Papiere geben, füllen Sie sie sorgfältig aus, und dann werde ich mich melden, sobald eine Kollegin verhindert ist.« Er nickte vor sich hin. »Es ist ja gut, dass Sie zu den Leuten gehören, die arbeiten wollen. Wissen Sie, heute liegen die meisten doch in der Hängematte und lassen sich die Scheine rüberwachsen. Früher hieß es mal: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen … eben früher.« Er klang traurig.
Dornröschen hätte ihm gerne eine rechte Gerade zwischen die Augen geschlagen, aber sie verschob es auf einen günstigeren Zeitpunkt. Sie bedankte sich unterwürfig und verließ das Büro, erbat sich draußen von der Brillenschlange die Formulare, füllte sie aus, erfuhr auf diesem Weg, dass sie sieben Euro neunundachtzig verdienen würde, trug nur ihre Handynummer ein und als Adresse die Okerstraße 34 und reichte die Formulare zurück, was ihr ein gnädiges Nicken der Kobra eintrug. Dann radelte sie zum Chamissoplatz.
Am Abend beratschlagten sie den zweiten Schritt.
»Wie viele Arbeitsstellen hat der?«, fragte
Weitere Kostenlose Bücher