Matti & Dornröschen 02 - Tod in Kreuzberg
Mal stellte sich die Frage, ob sie abtauchen sollten. Doch diesmal gab es keine Genossen mehr, die einem helfen würden. Nirgendwo würden sie Unterschlupf finden, niemand würde ihre Thesen verbreiten, niemand ihnen Waffen und Munition geben. Und vor allem würde niemand sie begreifen. Der bewaffnete Kampf war gescheitert, hatte sich selbst widerlegt, die Neuauflage wäre nicht einmal eine Karikatur. Aber wenn er keine Wahl hatte, wenn er Lara nicht anders rächen konnte, dann würde er das Letzte tun, was sinnvoll wäre in seinem Leben.
Lara. Lara. Lara.
Der Chef mochte Mattis Entschlossenheit richtig gedeutet haben, jedenfalls öffnete er langsam die Tür und stieg aus, die Hände erhoben. Matti tastete ihn ab, fand keine Waffe, aber ein Handy, und nickte. Er schaltete das Handy aus, holte den Akku heraus, und steckte alles ein. Dann schubste er den Chef zum Bulli. Twiggy übernahm ihn, während Matti Handschellen aus seiner Tasche zog und sich auf den Beifahrersitz des Benz setzte. Er nahm dem Chauffeur einen Revolver weg, den der im Schulterhalfter trug, auch das Handy, zerschlug mit dem Griff des Revolvers die Freisprechanlage auf der Mittelkonsole, fesselte die Hände des Fahrers ans Lenkrad, zog den Zündschlüssel und verabschiedete sich mit einem trockenen »Tschüss!«. Als der Fahrer gefesselt war, steckte Dornröschen die Pistole in ihren Gürtel und ging zum Bulli. Matti zerlegte auch das Handy des Chauffeurs und setzte sich neben dem Chef auf die Rückbank. Er legte ihm eine Augenbinde um, was der schweigend über sich ergehen ließ. Er roch nach Angst. Dornröschen saß auf der anderen Seite. Twiggy hinterm Steuer, weil er der beste Fahrer war, den die beiden sich vorstellen konnten. Die ganze Aktion hatte Sekunden gedauert. Hinter dem Chef-Benz tauchte ein Peugeot auf, der anhielt, während der Bulli mit geklauten Nummernschildern gemächlich davonfuhr. Die Gesichtsmasken hatten sie abgesetzt.
Erst auf der Lindenthaler Allee beschleunigte Twiggy. An einer Tankstelle bog er links ein auf die B 1. Nach ein paar hundert Metern verließ er die Potsdamer Chaussee, fuhr in den Hohentwielsteig, dann links in den Hegauer Weg. Ein kleines Gewerbegebiet. Auto Meier war ein Kumpel von Schlüssel-Rainer und hatte dem erzählt, die Halle in der Nummer 35a sei leer, ein Makler suche einen Mieter, der Schlüssel liege unter einer Tonne neben dem Eingang. Matti hatte den Ort gecheckt und den Schlüssel mitgenommen. Sie fuhren aufs Grundstück, links und rechts Reifen, Karosserieteile, Fässer, überall Rost. Matti schloss das Hallentor auf. Er war erleichtert, als er den grauen Opel Rekord Kombi sah, der zwar uralt war, den aber Rainer in Schuss gebracht hatte, was für fünfzigtausend Kilometer plus X bürgte, wie Rainer in der ihm eigenen Bescheidenheit gesagt hatte. »Ich habe euch ein bisschen Musik eingebaut«, hatte er grinsend erklärt.
Sie stellten den Bulli ab, damit Rainer ihn abholen und mit den echten Nummernschildern in der Okerstraße parken konnte. Es staubte im Scheinwerferlicht. Tauben flogen auf und verwirbelten die Schmutzpartikel in der Luft.
»Wenn Sie rumschreien, werden Sie geknebelt«, sagte Twiggy gelassen. Er packte den Chef am Arm und schob ihn auf die Rückbank des Opels. Der Mann war bleich und schwitzte. Seine Augen flatterten. Links von ihm setzte sich Dornröschen, rechts Matti. Twiggy fuhr den Wagen aus der Halle, zurück auf die B 1, auf die Stadtautobahn, erst auf die 100, dann auf die 113, und schließlich, nach Schönefeld, auf die 117. Über ihnen donnerten die Flugzeuge in den blauen Himmel. Das nächste Gewerbegebiet, Waltersdorf. »Beugen Sie sich nach vorn, ganz weit«, sagte Matti und legte eine Decke über den Chef, als der abgetaucht war. Matti lehnte sich mit dem Ellbogen auf den Mann. In der Lilienthalstraße fuhren sie vorbei an einem Haus mit blau-rot-grüner Fassade, dann an einem Billighotel, um am Ende der Straße in eine Toreinfahrt hineinzurollen. Sanitärbedarf Studer verkündete eine eckige blaue Schrift auf längst schmutzig grau gewordenem Hintergrund. Ein Klinkerbau mit verdreckten Fenstern und betoniertem Hof. Twiggy fuhr auf die Rückseite des Gebäudes und parkte. Matti sprang hinaus und öffnete quietschend eine Stahltür. Er winkte die anderen herbei. Der Chef streckte sich, hustete als Zeichen der Empörung, spürte den Druck von Dornröschens Makarov im Rücken und wäre fast gestolpert. Matti betrat einen Raum von knapp zwanzig Quadratmetern,
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