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Matto regiert

Matto regiert

Titel: Matto regiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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anfertigen lassen, und auch diese Liste werde er der Aufsichtskommission unterbreiten, damit sie sehe, wie ein Arzt hause… Während er Direktor gewesen sei, sei die Sterblichkeit immer klein gewesen in der Anstalt, erst seit man mit all den modernen Manövern begonnen habe, gebe es so viele Tote. Er habe die Sektionsprotokolle, die Dr. Blumenstein gemacht habe, nachgeprüft, es stimme nicht alles. Er habe selbst zwei Fälle noch nachuntersucht und Blutproben ans Gerichtsmedizinische geschickt. Er warte nur noch auf das Resultat, dann werde er auch gegen Dr. Laduner vorgehen, der Herr gehe ihm schon lange auf die Nerven, alle Ärzte, alle Assistenten habe er ihm abspenstig gemacht – vorläufig aber sei er, Ulrich Borstli, noch Direktor der Irrenanstalt Randlingen, und da könne auch der große Dr. Laduner nichts machen mit all seiner Weisheit und all seinem Einfluß und all seiner Diplomatie… Hier seien die Sektionsprotokolle – und er klopfte auf den Schreibtisch – und hier seien auch die Aufzeichnungen, die Gilgen beträfen… Und ich solle machen, daß ich zum Teufel käme…
    Wir gingen zusammen hinaus. Ich blieb in einer dunklen Ecke des Ganges stehen, der Direktor ging in seine Wohnung, kam wieder herunter und hatte seinen Lodenkragen umgehängt. Bevor er in den Hof hinaustrat, löschte er das Licht im Gang… Und nun habe ich eine Dummheit gemacht, Wachtmeister; ich wollte die Protokolle sehen, die Gilgen betrafen, aber lieber noch die Sektionsprotokolle… Ich fand, es sei meine Pflicht, sie Dr. Laduner zu bringen, damit er sich wehren könne. Und so ging ich wieder ins Büro zurück. Ich zündete das Licht an, suchte in allen Schreibtischschubladen und fand nichts.
    Da hörte ich Schritte vor der Türe. Ich drehte schnell das Licht ab, denn ich wollte doch nicht im Direktionsbüro überrascht werden wie ein Dieb.
    Die Tür ging auf, eine Hand wollte den Lichtschalter andrehen, ich packte die Hand. Und dann gab es einen stummen Ringkampf im Büro. Die Schreibmaschine fiel zu Boden, eine Scheibe klirrte. Endlich hatte ich den Mann auf dem Boden… Und dann machte ich mich davon… Ich ging zum Gilgen, der war noch auf, er hatte in dieser Nacht Dienst, aber er war nicht an der ›Sichlete‹ gewesen. Er saß hier auf dem Bettrand. Ich sagte zum Gilgen, er solle den Mut nicht verlieren, wir wüßten ja jetzt, was los sei. Am nächsten Morgen wollte ich mit Dr. Laduner sprechen… – Aber inzwischen war mancherlei passiert…«
    »Wie ihr aufs B zurückgegangen seid, Jutzeler, habt ihr da niemanden getroffen?«
    Jutzeler wich aus. Er sagte:
    »Es schlug zwei Uhr, als ich über den Hof ging.«
    »Einen Schrei habt ihr nicht gehört?«
    »Nein…«
    »Gut«, sagte Studer. »Und mehr habt ihr wohl nicht zu sagen…«
    Jutzeler dachte eine Weile nach, kratzte sich in den Haaren, schüttelte den Kopf, lächelte und meinte:
    »Wenn ihr noch etwas über uns erfahren wollt, über uns Wärter, wie man früher sagte, über uns Pfleger, wie man uns heute nennt, so könnte ich noch lange erzählen… Von den langen Tagen und der Zeit, die dahinschleicht, weil man fast nichts zu tun hat; man steht herum, die Hände im Schürzenlatz, und beaufsichtigt und serviert das Essen, beaufsichtigt wieder und ›hütet‹ im Garten und kommt wieder herauf… Und ißt… Das Essen spielt eine große Rolle, nicht nur bei den Patienten, auch bei uns, den Pflegern. Wir wissen das Menü auf Wochen voraus: den Mais am Montag, den Reis am Mittwoch, die Makkaroni am Freitag und die Samstagswurst. Wir wissen, wann es Rösti gibt am Morgen, und wann Anken… Wir gehen über den Hof, und wir haben uns einen besonderen Schritt angewöhnt, langsam, langsam, damit die Zeit vergeht… Wir heiraten, damit wir wenigstens in der Nacht irgendwo daheim sind… Wir spüren es, wenn das Wetter ändert, dann sind unsere Schützlinge gereizt und wir auch… Wir ziehen Lohn, nicht viel… Manche bauen sich ein Hüüsli und haben dann Schulden abzuzahlen. Es ist, als ob sie Sehnsucht hätten nach Sorgen, nur um die Leere der Tage auszufüllen… Wir stehen herum und warten, daß der Tag herumgeht… Man gibt uns Kurse, aber wir dürfen keine Verantwortung tragen… Für jedes Aspirin, für jedes Bad müssen wir fragen… Warum gibt man uns Kurse, wenn wir doch nicht verwerten dürfen, was man uns gelehrt hat?… Kurse! Meine Kollegen, die vor zwei Jahren das Diplom gemacht haben, was wissen die heute noch? Nichts… Ich hab's ein wenig besser, ich lese,

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