Matto regiert
den Pflegern gepredigt. Organisiert euch, haltet zusammen, versucht miteinander auszukommen! Organisation ist doch der erste Schritt zu einem fruchtbaren Zusammenleben… Zuerst Interessengemeinschaft, dann Kameradschaft… Eins geht aus dem andern hervor – sollte wenigstens daraus hervorgehen… Freiwillig übernommene Verpflichtungen… Wenn man es nur nicht so oft auf Schützenfesten prostituiert hätte, das Wort: Einer für alle, alle für einen…«
Ein anderer leiser Marsch… Es war eine Militärmusik, die spielte…
»Es wäre schön… Was tun wir denn eigentlich, wir vielverlästerten Psychiater? Wir versuchen, ein wenig Ordnung zu schaffen, wir versuchen, den Menschen zu zeigen, daß es gar nicht so unnötig ist, ein wenig vernünftig zu sein, nicht allen dunklen Regungen des Unbewußten nachzugeben… Die Menschen haben eines noch nicht begriffen, daß Leid eben auch Lustgewinn bringt… verstehen Sie?…
Wenn es einem Volk zu gut geht, dann wird es übermütig und sehnt sich nach dem Leid. Genügsamkeit ist wohl am schwersten zu ertragen…«
Laduner schwieg. Er schien mehr für sich selbst zu sprechen… Studer hatte plötzlich das Gefühl, daß er die ganze Rede über Pieterlen falsch beurteilt hatte…
Auf dem Grunde aller Menschen hockte die Einsamkeit.
Vielleicht war Dr. Laduner auch einsam? Er hatte seine Frau… Aber es gibt gewisse Dinge, die man auch mit einer Frau nicht besprechen kann. – Er hatte Kollegen… Was kann man schon mit Kollegen sprechen?… Fachsimpeln!… Und mit den Ärzten drunten? Für die war man der Lehrer… Da schneite eines Tages ein einfacher Fahnderwachtmeister in die Wohnung des Dr. Laduner. Und Dr. Laduner ergriff die Gelegenheit und hielt vor besagtem Fahnderwachtmeister Monologe. Warum sollte er nicht?
»Er wirft seine Girlanden, und der Krieg flackert auf…« wiederholte Laduner. Er schwieg. Ein Militärmarsch verklang, und dann erfüllte eine fremde Stimme das Zimmer. Sie war eindringlich, aber von einer unangenehmen Eindringlichkeit. Sie sagte:
»Zweihunderttausend Männer und Frauen sind versammelt und jubeln mir zu. Zweihunderttausend Männer und Frauen haben sich eingefunden als Vertreter des ganzen Volkes, das hinter mir steht. Das Ausland wagt es, mich des Vertragsbruches zu zeihen… Als ich die Macht ergriff, lag das Land verheert, verwüstet, krank… Ich habe es groß gemacht, ich habe ihm Achtung verschafft… Zweihunderttausend Männer und Frauen lauschen meinen Worten, und mit ihnen lauscht das ganze Volk…«
Langsam stand Laduner auf, schritt zum sprechenden Kasten… Ein Knack… Die Stimme verstummte…
»Wo hört Mattos Reich auf, Studer?« fragte der Arzt leise. »Am Staketenzaun der Anstalt Randlingen? Sie haben einmal von der Spinne gesprochen, die inmitten ihres Nestes hockt. Die Fäden reichen weiter. Sie reichen über die ganze Erde… Matto wirft seine Bälle und Papiergirlanden… Sie werden mich für einen dichterischen Psychiater halten… Das wäre nicht so schlimm… Wir wollen doch nicht viel… Ein wenig Vernunft in die Welt bringen… Nicht die Vernunft der französischen Aufklärungszeit, eine andere Art Vernunft, die unserer Zeit… Die Vernunft, die fähig wäre, wie eine Blendlaterne in das dunkle Innere zu zünden und ein wenig Klarheit zu bringen… Ein wenig die Lüge zu verscheuchen… Die großen Worte beiseite zu schieben: Pflicht, Wahrheit, Rechtschaffenheit… Bescheidener zu machen… – Wir sind allesamt Mörder und Diebe und Ehebrecher… Matto lauert im dunkeln… Der Teufel ist schon lange tot, aber Matto lebt, da hat Schül ganz recht… Es ist schade, daß Schül mir nie die Bitte erfüllt hat, eine Geschichte Mattos zu schreiben… Ein kleines Gedicht in Prosa bring ich bei keiner Zeitung an…«
Er schwieg. Studer gähnte leise, Laduner hörte es nicht. »Zweihunderttausend Männer und Frauen – das ganze Volk… Und Kollege Bonhöffer, unser Lehrer, ein Mann, der viel wußte, er ist umgefallen wie ein Kartenhaus…
Erinnern Sie sich an den großen Prozeß?… Der Mann, der soeben sprach, hat Glück gehabt… Wäre er zu Beginn seiner Laufbahn einmal psychiatrisch begutachtet worden, die Welt sähe vielleicht ein wenig anders aus… Ich sagte Ihnen schon, der Verkehr mit Geisteskranken ist ansteckend. Es gibt Menschen, die prädisponiert sind, wenn Sie mich verstehen, aufnahmefähig… Ganze Völker können prädisponiert sein… In einem Vortrag habe ich einmal einen Satz gesagt, der mir
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