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Mattuschkes Versuchung

Mattuschkes Versuchung

Titel: Mattuschkes Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Ersfeld
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ist dein Leben bisher ja auch so mustergültig gelaufen, weil du alles voraussehen konntest«. Aber das verkniff sie sich im letzten Moment.
    Verärgert fuhr sie zurück. Am nächsten Tag gingen ihr die Worte ständig durch den Kopf, ihr wurde klar, warum sie sie so betroffen machten und verärgerten. Im Wesentlichen hatte Gila recht, es waren genau die Punkte, die sie selbst als kritisch herauskristallisierte, aber immer wieder verdrängte. Gila traf, typisch für sie, wieder einmal den richtigen Nerv, das wurmte und machte unruhig, nachdem es ihr gerade gelungen war, ihre warnende innere Stimme einzuschläfern.
    Eine Woche später sagte Rick beiläufig beim Abendessen: »Übrigens hat Mattuschke uns am Wochenende zum Essen eingeladen. Er hätte einiges gut zu machen, wegen Überstunden und so weiter. Ich weiß nicht, ob wir wirklich hingehen sollen.«
    »Das kannst du deinem Chef schlecht abschlagen, wann soll es denn sein?«
    »Samstag«, brummte er, »lass uns noch ins Silverspot zu den anderen gehen.«
    Sie war einverstanden, obwohl sie noch einiges hätte aufarbeiten müssen, aber heute war sie nicht in der Stimmung und ein Besuch bei der Clique würde sie sicher aufheitern.
    Es war außergewöhnlich gut besucht, wenn Hano und Eric nicht frühzeitig ihre Stammplätze belegt hätten, wäre es unmöglich gewesen, einen Sitzplatz zu ergattern. Louise war nach Abtanzen zumute und fand in Eric einen bereitwilligen Partner. Er tanzte gut mit geschmeidigen Bewegungen, die einen femininen Einschlag hatten. Am Schluss berichtete er ihr eifrig von seinen neuesten Gedichtkreationen, die mit Rilkes Versen aber lediglich Buchstaben und Papier gemeinsam hatten.
    »Darf ich dir vielleicht die ersten Zeilen vortragen?«, fragte er, seine Aufregung in der Stimme kaum verbergend. Er sah sie so flehend und erwartungsvoll an, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als zuzustimmen. »Aber nur die ersten Zeilen, bitte, dann bleibt mir noch die Spannung für das ganze Werk erhalten«, schwindelte sie in Erinnerung an andere Ergüsse, die er ihr zu Gehör gebracht hatte. Er zog sie sanft in eine Ecke, in der man ungestörter sprechen konnte und stellte sich in Positur:
     
    » Flackere fröhlich, farbenfroher Freudenfunke
    in himmlisch, honighellen Hirtenaugen herrlich haftend,
    schenk’ meiner Seele sanft, süße Schlummer-Schäfchen
    nicht nächtens nur, nein, am nächsten Tage noch …«
    »Danke, das reicht für einen ersten starken Eindruck«, sie sah ihn mit kreisrunden Augen an, was er offenbar missverstand.
    »Ich sehe, du bist begeistert, ich bin sicher, dass mir diesmal der ganz große Wurf gelungen ist, du müsstest erst mal die zweite Strophe hören, eine weitere Steigerung der Dramatik. Vier Monate habe ich allein für die Formulierung der ersten gebraucht, bis sie in dieser Idealversion stand und das Tollste«, er kam ihr ganz nah und flüsterte, als gelte es, ein bestgehütetes Geheimrezept zu verraten.
    »Das Tollste ist die präzise Anordnung der Buchstaben, ohne mich loben zu wollen, ein bukolisches Meisterwerk « , jetzt lächelte er verschmitzt, »ein Geniestreich. Ich weiß nicht, ob es dir auf die Schnelle aufgefallen ist. Sechs f in der ersten, sechs h in der zweiten, sechs s und n in der dritten und vierten Zeile, exakt wie Mathematik. Das gibt’s in der ganzen Weltliteratur nicht, keiner kam bisher auf eine solche Idee.« Kein Wunder, dachte sie, sagte aber: »Aus dir wird mal ein ganz spezieller deiner Zunft, da beißen sich die Kritiker die Zähne aus. Du bist ein Picasso der Worte.«
    Eric strahlte. »Ich verrate dir ein Letztes«, er flüsterte mit glühenden Ohren, »in der nächsten Strophe geht’s mit sechs t weiter.«
    »Wer hätte das für möglich gehalten?«, gab sie sich staunend und zog ihn mit zu den anderen.
    »Was ist mit dir Eric? Du siehst ja aus, als hättest du die Begegnung mit einem Außerirdischen gehabt, verklärt, erhitzt, verstrahlt.«
    Eric lächelte sanft in sich hinein: »Wartet nur ab, eines Tages werden euch die Augen übergehen.«
    »Davon bin ich überzeugt«, kam Louises trockener Kommentar; Eric warf ihr einen dankbaren Blick zu. Hano berichtete gerade von einem Notfallpatienten, der am Nachmittag mit zwei gebrochenen Armen eingeliefert und gegipst wurde.
    »Stellt euch nur einmal vor, für Wochen Arme oder Hände nicht gebrauchen zu können, selbst für die profansten Verrichtungen.« Vorübergehend trat nachdenkliche Stimmung ein, die Hano gleich wieder mit anderen

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