Mattuschkes Versuchung
Haare, Haare wie trockenes Wasser«, stotterte er. Etwas Besseres fiel ihm in diesem Moment nicht ein, so hieß doch das mystische Kompliment, das Heidrun der schönen Sina gemacht, und er als Wort gewordenen Schatz in seinem Inneren bewahrt hatte? Chou-Chou war manches Kompliment zu Ohren gekommen, aber das machte sie sprachlos. Ratlos blieb ihr Mund offen, dann warf sie ihm einen mitleidigen Blick zu und schob den kleinen Irren zum Ausgang. Als sie hinaustraten, er mit rotem Kopf, Chou-Chou irritiert, aber mit vielsagendem Lächeln, johlte die Bande und ließ den frisch gebackenen Mann hochleben. Sie hatten die Liebesdame bezahlt, um ihn entjungfern zu lassen. Er hatte zum ersten Mal versagt, am liebsten wäre er davongelaufen.
Chapiteau kam zurück; der Infarkt war einigermaßen überstanden, bediente sich aber zunächst weiter des Zauberers, um sich zu entlasten. Auf Dauer würde er den Anforderungen alleine nicht mehr gewachsen sein. Mattuschke senior stimmte zu, ihn vorübergehend zu unterstützen; eine endgültige Lösung musste gefunden werden.
Die Ferien waren zu Ende, der Internatsalltag zog wieder ein. Obwohl er sich vorgenommen hatte, das Badehaus seltener aufzusuchen, wurde er schon am ersten Tag bei seinem Anblick schwach und fieberte dem Freitag mit Unruhe entgegen. Der Gedanke, den Mädchen wieder unbemerkt zusehen zu können, ließ ihn schwindlig werden, auf der Stelle taumeln. Endlich konnte er wieder den verbotenen Anblick ihrer nackten Schönheit genießen. Drei sprachen ihn besonders an; wenn sie – aller Kleidung ledig – vor ihm standen, erfasste ihn ein gefährlicher Rausch, versuchte er selbst das Atmen zu vermeiden, um kein Zittern, keinen Moment der Unschärfe in seinem Blick zu erzeugen. Nachts erlebte er das Gesehene in bunten Bildern seiner inneren laterna magica wurde auf voyeuristischer Ebene eins mit diesen Wesen, die ohne ihr Wissen allein seinen Augen und ihm gehörten, so als wären sie einander versprochen. Da er das Schauspiel nur abwechselnd mit Konrad erleben konnte, wurde die Zeit bis zur nächsten Vorstellung quälend lang. Die Versuchung wurde zu einer Sucht, die Schatten seiner Gedanken verfolgten ihn, ließen ihn nicht mehr los und im Laufe der Zeit immer unvorsichtiger werden. Er musste an Nietzsche denken, den sie gerade behandelten: »Es ist leichter, einer Begierde ganz zu entsagen, als in ihr Maß zu halten.«
Wieder nahte ein Freitag, über ein halbes Jahr war inzwischen vergangen, ohne dass ihre Geheimsitzungen bemerkt worden wären, als er wieder mit klopfendem Herzen an der Mauer hochstieg, um den kleinen Ziegel zu lösen.
Aber was war das? Er fand ihn nicht. Die bewusste Stelle war verputzt und ließ keine Lücke mehr offen. Jähe Wut durchfuhr ihn, er schlug mit den Fäusten an die Steine, fluchte, wischte sich Tränen der Enttäuschung ab, roch plötzlich den ordinären Gestank gebratenen Fischs, der durchdringend in der Luft lag, keinen Seifenduft, keine Fichtennadeln. Man musste das Loch entdeckt und von beiden Seiten verschlossen haben. Vielleicht hatte Konrad vergessen, das Ziegelstück hineinzuschieben, so dass Licht einfiel und der Wind hineinwehte. Er war verzweifelt, ein neues zu kratzen, wäre jetzt sinnlos. Als er resigniert vom Baumstumpf sprang, nahmen ihn starke Arme in Empfang.
Direktor Frieder Eisenrost, humor- und freudlos, ein Typ ,Steißbeintrommler, kannte kein Erbarmen, der Schulverweis war unumgänglich. Selbst, wenn er Humor besessen hätte, wäre seine Lage kaum besser gewesen, denn, höhere Töchter’ in der Obhut strenger Nonnen beim Baden zu beobachten, war kein Streich, sondern eine unnachgiebig zu bestrafende Tat. Mit weniger als diesem Exempel hätte sich auch die Oberin, die heiligen Zorn versprühte, nicht einverstanden erklärt. Als der Hausmeister die Lücke entdeckte, Konrad hatte tatsächlich vergessen, sie zu schließen, war klar, was dort gespielt wurde. Man musste sich nur am Freitag auf die Lauer legen und den Delinquenten auf frischer Tat ertappen, er ging prompt in die Falle. »Wie blöde, dass ich das Fehlen der üblichen Gerüche nicht bemerkt habe«, schimpfte er ärgerlich mit sich selbst, den Badetag hatte man wegen der besonderen Vorkommnisse ausfallen lassen. Das hätte ihn stutzig werden lassen müssen, hätte nicht passieren dürfen. Schulverweis, Spott am Schulpranger, Vermerk im Abgangszeugnis, Vorladen der Eltern … die ganze Bestrafungspalette.
Aber er hatte nicht umsonst gelernt, Gedanken anderer
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