Mattuschkes Versuchung
Ziegel berühren, dann fällt es auf und wir sind dran.«
Konrad sah durch die Lücke und war entzückt. Ein Wahnsinn, das hätte er sich in kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Er schwärmte für eins der Mädchen, das er nur vom gelegentlichen Sehen kannte. Tausendmal hatte er sich schon in seinen Träumen vorgestellt, es in unverhüllter Schönheit zu sehen, es zu berühren, Küsse auszutauschen oder gar … Gerade zog es, unmittelbar vor ihm stehend, seinen Bademantel aus. Ihm entfuhr ein leiser Ausruf der Überraschung.
»Bist du verrückt, du verrätst uns noch alle, komm wieder runter.«
»Jetzt nicht, das muss ich unbedingt sehen«, flüsterte er heiser. Heinz überlegte, ein Mitwisser bei dieser Sache war gefährlich, sie müssten in Zukunft vorsichtiger und seltener hiervon Gebrauch machen, wenn es nicht anderen auffallen sollte.
Abwechselnd beobachteten sie das Schauspiel, dann schlichen sie zurück. Wieder ungesehen im Zimmer, sprach er das heikle Thema an, er war sicher, dass Konrad die Brisanz erkannt hatte und wusste, dass das Consilium abeundi, um den Rausschmiss vornehmer zu formulieren, unweigerlich folgen würde, von der hysterischen Reaktion der Nonnen und Eltern ganz zu schweigen. Sie schworen sich ihr Ehrenwort, keinen anderen einzuweihen und das Geheimnis alleine zu bewahren. Natürlich wäre es zu gefährlich, künftig gemeinsam hinzugehen, sie würden sich abwechseln müssen oder auslosen. Am nächsten Morgen rückte Konrad mit einer Idee heraus. Um das Stillschweigen über das ungeheure Geheimnis zu bewahren und den geleisteten Schwur zu untermauern, sollte er ihn in den Ferien für zwei Wochen in den Zirkus einladen. »Ich spreche mit meinen Eltern, aber nicht weil unser Schwur einer Untermauerung bedarf, wir haben ihn ohne Bedingung geleistet, sondern weil wir Freunde sind, und es für uns beide eine Superzeit würde.« Konrad stimmte beschämt zu. Heinz war jetzt sicher, sich auf ihn verlassen zu können.
Als sie im Zirkus ankamen, herrschte helle Aufregung Chapiteau lag im Krankenhaus, keiner kannte sich in seinen Aufgaben aus, und es war eine Menge an Entscheidungen zu treffen. Einige der Arbeiter wurden aufsässig und fragten direkt nach ihrem Lohn. Seinen Vater berief man zum vorübergehenden Leiter, er wusste nicht, welcher Fähigkeit er das Zutrauen zu verdanken hatte, vielleicht dachte man, er könne tatsächlich zaubern, was in dieser Situation auch von Nöten war. Sie erfuhren, dass der vorgesehene nächste Spielort erst vor kurzem von einer kleinen Zirkustruppe besucht wurde, so dass man sich keinen besonderen Erfolg ausrechnen konnte. Vater entschied sich spontan für einen Ersatzspielort, den man noch nie angesteuert hatte. Es war ein großes Risiko, aber damit lebte er ja ständig. Um keine unnötige Zeit zu verlieren, brach man dorthin auf, noch bevor der Platz gemietet und die Genehmigungen erteilt waren. Es musste in der Tat gezaubert werden. Heinz und Konrad sprangen bei der Organisation ein, fuhren voraus, sorgten für Futter, klapperten Schreinereien wegen der Sägespäne ab, erledigten die Behördengänge, die Vater schon telefonisch abgestimmt hatte. Ein paar spontan umgesetzte Ideen erwiesen sich vorteilhafter als die bisher praktizierten Abläufe.
Gegenüber der ursprünglichen Planung verlor man nur einen Tag, hatte aber einen Erfolg, wie er nie zu erwarten war. Blomerstadt, das schon lange keine derartige Attraktion mehr erlebt hatte, revanchierte sich mit einem Andrang, der an jedem Tag für ausverkaufte Plätze sorgte. Außerdem kam man ihnen bei Platzmiete und sonstigem entgehen.
»Na wenn das dem Alten nicht bei der Spontangesundung hilft, dann weiß ich es nicht«, lachte Harry und klopfte ihnen auf die Schulter, er hatte ein Faible für Anglizismen, wo er doch schon in Amerika gewesen war. »Well done, my friends«, meinte er und warf ihnen einen anerkennenden Blick zu. Konrad strahlte. Zu Hause im ruhigen familiären Beamtenhaushalt, konnte er sich gar nicht vorstellen, wie hier organisiert und improvisiert werden musste. »Das ist ein Leben«, schwärmte er, sehnsüchtige Augen auf Britta gerichtet, der er auch zu gefallen schien.
Heinz bekam bei dem Wurf ins kalte Wasser zum ersten Mal Gewissheit, wohin seine berufliche Laufbahn tendieren könnte. Hier lag sein Talent, im Organisieren, in kaufmännischen Aktivitäten, im geschickten Verhandeln, nicht in der Artistik, so sehr er alles liebte, was damit zusammenhing. Als er Sina begegnete,
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