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Mauern aus Holz, Maenner aus Eisen

Mauern aus Holz, Maenner aus Eisen

Titel: Mauern aus Holz, Maenner aus Eisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kent
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gehörte als Neuling immer zu den Verlierern. Also hatte man ihn immer wieder nackt ausgezogen, über eine Lafette gebunden und ausgepeitscht. Seine Kameraden hatten das getan, aber auch der verantwortliche Leutnant. Sie hatten ihn erniedrigt und beleidigt, immer und immer wieder. Die Narben dieser Mißhandlung würde er nie mehr verlieren.
    Mit Tyacke konnte er plötzlich über all das sprechen, in kurzen abgehackten Sätzen. Der Kommandant hörte stumm zu, bis der Junge schwieg.
    »Solche Brutalität hat immer der Kommandant zu verantworten«, sagte er schließlich. »Wenn es ihm egal ist, wie die Offiziere seine Befehle ausführen oder ihre Aufgaben erfüllen, kommt es so weit. Kein Leutnant kann so etwas wagen, wenn ihn sein Kommandant dabei nicht decken würde. Haben Sie sich freiwillig auf den Brander gemeldet, weil Sie auf Ihre altes Schiff zurückkehren sollten?« Als Segrave schwieg, fuhr er fort: »Sie hätten den Leutnant umbringen sollen. Was Schlimmeres als hier hätte Sie dann auch nicht erwartet. Aber Ihnen wäre wohler gewesen.« Er legte Segrave die Hand auf die Schulter. »Doch Sie haben Ihre Entscheidung getroffen.« Ein Sonnenstrahl huschte über seine entstellte Gesichtshälfte. »Und ich die meine.«
    Oben hörte man Schritte, die heisere Stimme des Bootsmanns scheuchte ein paar Männer auf ihre Stationen.
    »Es tut mir nicht leid, daß ich hier bin«, sagte Segrave.
    »Gut!«
    Zusammen stiegen sie an Deck, und die frische Luft tat ihnen wohl nach dem Gestank in der Kajüte. Tyacke sah zum Wimpel hoch, prüfte den Kurs am Kompaß. Ja, der Wind stand durch, hatte aber hier unter Land weniger Kraft. Er nahm das Teleskop aus seiner Halterung. Da fiel sein Blick auf den Deserteur namens Swayne. Er holte gerade die Lose aus einer Leine, bewegte sich dabei schnell und leicht: ein erfahrener Seemann. Seit er hier an Bord war, sah er nicht mehr so verzagt aus, denn solange man lebte, gab es Hoffnung. Auf dem Flaggschiff hätten ihn entweder zweihundert Hiebe oder der Strick erwartet. Der andere Fremde an Bord war ein Seesoldat namens Buller. Der hatte Rum gestohlen, sich betrunken und dann seinen Sergeanten verprügelt. Das war zuviel für die Truppe. Auch ihn hätte man gehenkt oder ausgepeitscht.
    Die anderen Männer kannte Tyacke bereits genau, sie kamen von der
Miranda.
Sperry, der Bootsmann, ließ zwei Männer die Fockrah mit einer Kette festsetzen, denn wenn die Flammen erst nach oben schlugen, waren Ketten nötig, um Fahrt im Schiff zu halten. Das geteerte laufende Gut brannte sofort weg.
    So jedenfalls hatte es Tyacke gehört. Wie jeder Seemann fürchtete er Feuer an Bord am meisten. Ob er die Sache durchstehen konnte? Er wußte, daß es darauf nur
eine
Antwort gab.
    Der Kommandant hob das Glas und sah am Midshipman vorbei, dem das Haar ins Gesicht wehte. Das Land lag genau voraus, und die Huk, die die Einfahrt zur Bucht schützte, war im fahlen Morgenlicht gut zu erkennen: grün und felsig. Die Decksplanken unter seinen Füßen wurden langsam warm und würden bald trocken wie Zunder sein. Wenn der Feind vorn an der Landspitze weitreichende Kanonen plaziert hatte, würden sie nicht bis in die Bucht kommen. Kein Schiff hatte Chancen gegen eine Landbatterie, schon gar nicht, wenn sie mit glühenden Kugeln schoß. Tyacke versuchte nicht daran zu denken, was eine glühende Kanonenkugel unter Deck anrichten würde.
    »An Deck!« Der Ausguckposten zeigte nach achtern. »Die
Miranda
geht über Stag.«
    Tyacke drehte sich um. Die offene See achteraus hielt die Nacht noch länger fest.
Mirandas
große Segel schienen förmlich übers Wasser zu fliegen, ihr Toppsegel flatterte, als sie durch den Wind ging. Es sah wirklich so aus, als verfolge sie den schäbigen Sklavenhändler mit Feuereifer.
    »Schütteln Sie alle Reffs aus, Mr. Sperry. Wir möchten doch nicht durch ein Schiff des Königs aufgebracht werden – oder?« Sperry grinste und verschwand. »Sie werden an der Pinne gebraucht, Mr. Segrave. Wir haben noch etwa zehn Meilen bis zum Angriff.«
    Segrave nickte. Hinter Tyackes abstoßendem Äußeren hatte er seine gewinnende Kameradschaft entdeckt.
    Im Fernglas öffnete sich jetzt vor ihnen die Bucht wie eine Bühne.
    »Wir laufen nach Nordost«, befahl der Kommandant, »auf die Untiefe zu, wie jedes kleine Handelsschiff, das von einem Kriegsschiff gejagt wird. Dann wenden wir und halten auf Steuerbordbug genau auf die ankernden Schiffe zu. Falls sie noch da sind.« Tyacke rieb sich das Kinn; er hätte

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