Mauern aus Holz, Maenner aus Eisen
sah sich Bolitho um. Gab es noch Spuren von ihm? Nein, keine. Diese Kajüte hätte genausogut auf jedem anderen Linienschiff sein können.
Ein Diener, an den er sich nicht erinnerte, brachte Brandy. Herrick sah Bolitho an. »Ich bin froh, daß du mich hier ablöst, damit die
Benbow
endlich daheim ins Dock kann. Wir haben im letzten Sturm fast das Ruder verloren. Damals warst du wohl noch an Land. Die See riß einen Mastergehilfen und zwei Matrosen über Bord – wir hatten gar keine Chance, sie aufzufischen.«
Bolitho unterbrach ihn nicht. Herrick mußte sich immer erst freireden, ehe er zur Sache kam, das war er gewöhnt. Aber Brandy um diese Stunde, das war neu. Ingwerbier oder Wein – das kannte er bei Herrick. Vielleicht hatte er mit dem Trinken begonnen, nachdem Dulcie gestorben war.
»Ich habe deinen Beileidsbrief bekommen, er tat mir gut.« Harsch fuhr er den Diener an: »Lassen Sie die Flasche hier, Mann! Ich komme schon alleine klar.« Der alte Herrick hätte so nie gesprochen; nicht umsonst war er immer der beliebteste Offizier bei den Besatzungen gewesen. Seine Hand zitterte leicht, als er die Gläser nachfüllte und ein paar Spritzer Brandy auf den Teppich verschüttete. Er schien es nicht zu bemerken.
»Guter Stoff. Stammt von einem Schmuggler.« Nur die Augen waren so klar und blau, wie Bolitho sie kannte. Ihm war, als schaue ihn ein Bekannter aus einem fremden Körper an.
»Verdammt noch mal, ich war nicht bei ihr, als sie mich am nötigsten brauchte!« brach es aus Herrick heraus. »Ich hatte ihr doch gesagt, sie solle sich nicht um die Gefangenen kümmern! Jetzt möchte ich sie am liebsten alle aufhängen.« Er trat an die Wand, an der sein Degen hing und mit dem Schwanken des Schiffes am Holz scheuerte. Doch er übersah die Waffe und berührte fast zärtlich das Teleskop daneben in seiner Halterung, das Dulcie ihm einst in London geschenkt hatte. »Aber ich wäre auf jeden Fall zu spät gekommen.«
Herrick leerte sein Glas in einem Zug. »Lady Bolitho hat mir von den verdammten Spaniern erzählt, die überall in Haus und Garten arbeiteten. Sie hätte sie auf den Hulks lassen sollen!« Er sah Bolitho an und fragte plötzlich: »War bei der Beerdigung alles so, wie es sein sollte?«
»Ja. Deine Schwester war da und viele von Dulcies Freunden.«
»Und ich konnte nicht kommen! Sie starb allein.«
Der Satz hing in der Luft, bis Bolitho sagte: »Dulcie war nicht allein. Catherine war bei ihr und hat sie gepflegt, bis der Tod sie erlöst hat. Das war mutig von ihr, denn Typhus ist sehr ansteckend.«
Herrick trat an den Tisch und griff zur Brandyflasche. »Nur Catherine?«
»Ja. Sie ließ nicht einmal die Haushälterin ins Zimmer.«
Herrick rieb sich die Augen, als schmerzten sie ihn. »Du denkst jetzt bestimmt, daß sich Catherine dafür meine Anerkennung verdient hat.«
Bolitho zügelte seinen Zorn. »Ich bin nicht hergekommen, um aus deinem Schmerz Gewinn zu schlagen, Thomas. Ich weiß noch sehr genau, wie du mir damals die schreckliche Nachricht über Cheneys Tod brachtest. Ich fühle mit dir, Thomas, denn ich weiß, was es heißt, einen geliebten Menschen zu verlieren.«
Herrick ließ sich schwer in seinen Stuhl fallen und füllte sich schon wieder das Glas. »Aber du hast jetzt Catherine – und ich habe alles verloren. Dulcie gab mir die Kraft zum Vorwärtskommen. Es war ein langer Weg vom armen Kadetten zum Konteradmiral.« Als Bolitho schwieg, beugte er sich über den Tisch und sprach lauter.
»Aber du hast das ja nie verstanden! Dein Neffe auch nicht, niemand. Ihr Bolithos denkt immer nur an euch!«
»Ich gehe jetzt, Thomas.« Es war schrecklich zu beobachten, wie der Schmerz diesen Mann zerstörte. Was brach da aus ihm heraus? Hatte er diesen Vorbehalt gegen Bolitho etwa jahrelang in seiner Seele verborgen? Später würde er diese Worte sicherlich bereuen.
»Wenn du in England bist, erinnere dich an all das Schöne, das du mit Dulcie zusammen erlebt habt. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder.«
Herrick erhob sich unsicher. »Was macht dein Auge? Geht es dir besser?« Trotz Alkohol und Trauer erinnerte er sich plötzlich daran, daß Bolitho auf diesem Schiff fast gefallen wäre.
»Danke, es geht, Thomas.« Bolitho nahm Hut und Mantel.
Die Tür öffnete sich einen Spalt, und Kapitän Gossage schaute herein. »Ich wollte dem Konteradmiral melden, daß der Wind auffrischt.« Er sah zu Herrick hinüber, der zusammengesunken auf der Heckbank saß und sich nicht rührte. »Ich
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