Max Weber (German Edition)
[…] sind, welche auch der rein empirisch-wissenschaftlichen Arbeit die Richtung weisen».
Weber nahm hier sein bereits im «Objektivitäts»-Aufsatz von 1904 formuliertes Konzept des «Erkenntnisinteresses» erneut auf. Schon damals ging es ihm darum, die Konstruiertheit einer bestimmten Perspektive zu betonen, von der aus man an das jeweilige Untersuchungsobjekt herangeht. Wenn sich (Sozial-)Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihrem Untersuchungsobjekt nähern wollen, müssen sie dies aus der Perspektive bestimmter Werte tun, die ihnen die sie umgebende Kultur anbietet. Die unendliche Komplexität der Wirklichkeit macht schon eine (vermeintlich) einfache Beschreibung alles Vorfindlichen unmöglich; wenn es bei der wissenschaftlichen Erkenntnis um die Aufdeckung von Verursachungszusammenhängen gehen soll, bedarf es eines erkenntnisleitenden Interesses, von dem aus man sich um ein «Verstehen» und «Erklären» der sozialen und historischen Wirklichkeit bemühen will. Die Aufgabe der Kulturwissenschaften – zu denen nach Weber die Soziologie zählt – ist es nun, die Wirklichkeit und Wirksamkeit von «Sinn» und «Bedeutung» zu erforschen. Für diese Aufgabe gibt es keine Möglichkeit einer «objektiven» Behandlung, sondern einzig die forschungsleitende Selektion durch «Wertideen». Es dürfte nicht übertrieben sein zu sagen, dass sich diese Position Webers im laufenden Betrieb der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften als allgemein konsensfähig durchgesetzt hat.
VII Rationalisierung, Intellektualisierung, Entzauberung der Welt. Wissenschaft als Beruf
Am 7. November 1917 hielt Professor Max Weber im «Kunstsaal Steinicke» in München auf Einladung des Landesverbandes Bayern des Freistudentischen Bundes einen Abendvortrag über Wissenschaft als Beruf. Die erheblich überarbeitete Druckfassung dieses Vortrags ist bis heute eines der Monumente der allgemeinen Weber-Rezeption. In ihrer anhaltenden Wirkung ist sie vergleichbar mit seinen Studien zur Kulturbedeutung des Protestantismus und der Druckfassung seiner Rede über Politik als Beruf, die er im gleichen Rahmen eineinhalb Jahre später hielt.
Weber sprach über Wissenschaft in einer Situation, die sowohl für ihn wie für seine Zuhörer nicht einfach war. Bei Beginn des Ersten Weltkrieges war der nicht felddiensttaugliche Weber zur Reserve-Lazarett-Kommission beim Bezirks- und Garnisonskommando Heidelberg abkommandiert worden, wo er für 42 ihm unterstellte Lazarette die militärische und wirtschaftliche Verantwortung trug. Nach seinem Ausscheiden aus dem militärischen Dienst zum 30. September 1915 war er an seinen Heidelberger Schreibtisch zurückgekehrt und hatte sich erneut in die Materialberge für seine Studien über die Wirtschaftsethik der Weltreligionen und die geplanten Beiträge für den Grundriß der Sozialökonomik vertieft. Neben diesen inhaltlichen Studien und der damit verbundenen unermüdlichen Organisationsarbeit für dieses Sammelwerk beschäftigten ihn zunehmend mehr seine öffentlichen Stellungnahmen zu Fragen der deutschen Innen- und Außenpolitik und seine Überlegungen über die Verfassungsgestaltung des zukünftigen Deutschlands nach dem absehbaren Ende des Krieges. Die Einladung des Freistudentischen Bundes traf ihn zudem in einer Umbruchsituation seines eigenen Lebens: Gerade war er von Berufungssondierungen aus Wien nach München zurückgekommen und schwankte zwischen seinen beiden eigenen, inneren Berufungen, der Wissenschaft und der Politik. Zudem stand er vor schwerwiegenden privaten Entscheidungen.
Max Webers Münchner Publikum bestand vor allem aus jungen – zum großen Teil fronterfahrenen – Männern, die sich Gedanken über ihre berufliche Zukunft machten. Sie hatten sich gegen die Mitgliedschaft in einer «farbentragenden», einer «schlagenden» Studentenverbindung entschieden, gehörten als «Freistudenten» zu jenen angehenden Akademikern, die an der Idee von Universität als einer primär wissenschaftlichen Ausbildungs- und Bildungsanstalt orientiert waren und die daran glaubten, dass die Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Fragen eine Erziehung zur Mündigkeit bewirken könne. Viele seiner Zuhörer erwarteten, dass ihnen ein Professor für Nationalökonomie raten würde, ob sie sich für eine wissenschaftliche Laufbahn entscheiden sollten, was dagegen und dafür spreche, wie sich Wissenschaft als Beruf auch im materiellen Sinne gestaltet. Weber, der ein Jahr später aus seiner
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