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Max Weber (German Edition)

Max Weber (German Edition)

Titel: Max Weber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kaesler
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denen diese Debatten real geführt wurden: vor allem der Verein für Socialpolitik, die Deutschen Hochschullehrertage sowie die Deutsche Gesellschaft für Soziologie .
    Im Verein für Socialpolitik lassen sich nach der Jahrhundertwende drei Fraktionen unter seinen Mitgliedern – vorwiegend Wissenschaftler, hohe Verwaltungsbeamte, Journalisten, Gewerkschaftler, Bankiers und Unternehmer – voneinander unterscheiden: ein «linker Flügel» – die sogenannten Kathedersozialisten, mit Lujo Brentano, Werner Sombart, Friedrich Naumann, Bernhard Harms, Max und Alfred Weber –, eine «Mitte» mit Gustav von Schmoller, Rudolf von Gneist, Erwin Nasse und ein «rechter Flügel» mit Adolph Wagner und Eugen von Philippovich. Bereits auf der Mannheimer Vereinstagung von 1905 über «Das Verhältnis der Kartelle zum Staate» entzündeten sich an den Schmoller’schen Forderungen nach einer staatlichen Kontrolle der Kartelle die Diskussionen, die Schmoller bis zur Rücktrittsandrohung provozierten, falls der linke Flügel, vor allem Naumann, weiterhin seine «materialistische Demagogie» forciere. In diesen sehr polemisch geführten Auseinandersetzungen über das Theorie-, Methoden- und politische Selbstverständnis des Vereins für Socialpolitik forderte der «linke Flügel», dass Theorie und Methoden zum Diskussionsgegenstand gemacht würden, während der «rechte Flügel» derartige Diskussionen verhindern wollte und die Hauptaufgabe des Vereins in der Beeinflussung praktischer Sozialpolitik sah, weswegen auch die Themen «praktischer Natur» sein müssten.
    Zum eigentlichen Ausbruch kam der «Werturteilsstreit» auf der Vereinstagung in Wien 1909, auf der Eugen von Philippovich – Webers Vorgänger auf dem Freiburger Lehrstuhl – als Vertreter der «Österreichischen Schule» das erste rein theoretische Referat in der Geschichte des Vereins über «Das Wesen der volkswirtschaftlichen Produktivität» hielt. Sombart, Max Weber und Friedrich Gottl von Ottlilienfeld kritisierten die wissenschaftliche Unbrauchbarkeit des Begriffs «Produktivität», der voller Wertungen stecke, da er zunehmend mit dem des «Volkswohlstandes» vermengt würde. Hier nahm Weber vehement seinen Kampf gegen eine «Vermengung von Wissenschaft und Werturteil» auf und sah im «Hineinmengen eines Seinsollens in wissenschaftliche Fragen […] eine Sache des Teufels». Gegen Webers Position polemisierten im Laufe der erregten Debatten Otto von Zwiedineck-Südenhorst, Othmar Spann, Rudolf Goldscheid und Wilhelm Neurath. Aus vereinspolitischen Gründen sollte eine grundlegende Diskussion, sowohl über die Problematik der «Werturteile» als auch über den Wissenschaftscharakter der Nationalökonomie, auf die Vereinssitzung von 1911 in Nürnberg vertagt werden. Auf dieser Sitzung beantragte Weber gleich zu Beginn: «Ich möchte vorschlagen, daß die Frage, ob wie [!] hier Werturteile auszuschließen haben oder nicht, ob sie prinzipiell berechtigt sind, inwieweit ihre Ausschließung durchführbar ist, vom Ausschuß des Vereins einmal speziell auf die Tagesordnung gesetzt wird […]».
    Als Vorbereitung für diese «spezielle» Tagung erging 1912 auf Anregung Webers ein Rundschreiben mit der Aufforderung zur schriftlichen Stellungnahme. Die Ausschusssitzung am 5. Januar 1914 verlief ergebnislos und brachte keine Annäherung der Standpunkte. Der Beginn des Ersten Weltkrieges unterbrach zwar die Arbeit des Vereins nicht gänzlich, beendete aber die Werturteilsdiskussion. Weber überarbeitete seine schriftliche Stellungnahme von 1912 und veröffentlichte die neue Fassung 1917 in der Zeitschrift Logos unter der Überschrift Der Sinn der ‹Wertfreiheit › der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften, auf die im Folgenden eingegangen wird.
    Die zweite organisatorische Bühne, auf der der «Werturteilsstreit» ausgetragen wurde und ohne deren Kenntnis die Webersche Position nur teilweise verständlich ist, war die Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS), an deren Gründung 1909 Max Weber maßgeblichen Anteil hatte. Gerade aufgrund seiner Erfahrungen im Verein für Socialpolitik versuchte er etwaige Wiederholungen der in seinen Augen unfruchtbaren Streitereien zu verhindern, indem er schon in der von ihm verfassten schriftlichen Einladung zur Gründung der Gesellschaft vorschlug: «Die Gesellschaft soll […] einen rein objektiv wissenschaftlichen Charakter haben. Es folgt daraus, daß jede Art von politischer, sozialpolitischer, sozialethischer oder

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