Max Weber (German Edition)
empirischer Feststellung und praktischer Wertung» schwierig ist, betonte Weber ausdrücklich – auch dass er selber dagegen immer wieder verstoßen habe! Er bestritt keineswegs die Einsicht, dass bereits die Themenwahl und die Auswahl des Stoffs «Wertungen» beinhalten; und weiterhin betonte er ausdrücklich, dass es nicht darum gehen könne, «daß die empirische Wissenschaft ‹subjektive› Wertungen von Menschen nicht als Objekt behandeln könne (während doch die Soziologie […] auf der gegenteiligen Voraussetzung beruht)». Es geht also auf der ersten Ebene des Weber’schen Postulats der «Werturteilsfreiheit» darum, dass wissenschaftliche Aussagen über empirische Tatbestände von deren (Be-)Wertungen durch die Wissenschaftler getrennt werden müssen. Wenn sich eine wissenschaftlich arbeitende Person eine derartige Wertung nicht versagen kann oder will, muss sie die jeweils persönliche Stellungnahme – für die keine wissenschaftliche Legitimation in Anspruch genommen werden darf – von der Tatsachenbeschreibung trennen, sowohl den Diskurspartnern gegenüber als auch sich selbst gegenüber. Wissenschaft ist für Weber ein «fachlich betriebener ‹Beruf› […] im Dienst der Selbstbesinnung und der Erkenntnis tatsächlicher Zusammenhänge, und nicht eine Heilsgüter und Offenbarungen spendende Gnadengabe von Sehern und Propheten oder ein Bestandteil des Nachdenkens von Weisen und Philosophen über den Sinn der Welt […]».
Glaubte Weber mit seiner Position das Problem der Werturteile in der Wissenschaft pragmatisch lösen zu können, so stellte das Problem der «Wertbeziehung» sein eigentliches, tiefer gehendes Anliegen dar. Indem es eine Grundsatzproblematik aller Wissenschaften berührt, insbesondere aller Sozialwissenschaften, geht dieses Anliegen erheblich weiter: Es handelt sich um die Beziehungen zwischen den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschungen und den «Werten» des forschenden Individuums. Gerade weil Weber betonte, dass die Wertungen, die Einzelne – ob wissenschaftlich beobachtende oder beobachtete Subjekte – ihrem Handeln zugrunde legen, nicht als Tatsache hingenommen werden müssen, «sondern zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Kritik gemacht werden» können, stellt sich die Frage, wie erfahrungswissenschaftlich-empirische Disziplinen diese Aufgabe lösen können. Es geht darum, den jeweiligen «Wertungsstandpunkt» auf seine «individuelle, soziale, historische Bedingtheit» hin zu untersuchen, was für Weber auf keine andere Weise möglich war als durch ein «verstehendes Erklären». Gerade weil das Verstehen eines fremden Wertungsstandpunktes nicht dessen Billigung bedeutet, wird eine wissenschaftliche Erforschung der jeweiligen, möglicherweise miteinander kollidierenden Werte möglich und notwendig.
Um über Werte und Wertungen erfahrungswissenschaftlich-empirisch forschen zu können, postulierte Weber für fruchtbare «Wertungsdiskussionen» vier Aufgabenstellungen: die Herausarbeitung der Wertaxiome, von denen die einander entgegengesetzten Meinungen ausgehen, die Deduktion der Konsequenzen, welche aus bestimmten letzten Wertaxiomen folgen würden, wenn man sie der praktischen Bewertung von Sachverhalten zugrunde legt, die Feststellung der Folgen, welche die praktische Durchführung einer bestimmten Stellungnahme zu einem Problem haben müsste, und schließlich die Erörterung der sich daraus ergebenden neuen Wertaxiome, welche der Vertreter eines Postulats nicht beachtet hatte und zu denen er infolgedessen nicht Stellung genommen hatte. Eine derartige, idealtypisch-konstruierende Methode der Erforschung von Werturteilen, bei der die Analyse der Wertvorstellungen, die Angabe geeigneter Mittel und Mittelkombinationen für gewählte Zwecke («Werte»), die Abschätzung der Erfolgsaussichten, die Feststellung der Nebenwirkungen der anzuwendenden Mittel, die Beurteilung der «Kosten» der erstrebten Werte und die Beurteilung der Vereinbarkeit, in logischer wie praktischer Hinsicht, verschiedener Werte im Zentrum stehen, befindet sich nun ihrerseits in einer Beziehung zu Werten. Dafür verwandte Weber, im Anschluss an Rickert, den Begriff der «Wertbeziehung»; er meinte damit «die philosophische Deutung desjenigen spezifisch wissenschaftlichen ‹Interesses› […], welches die Auslese und Formung des Objektes einer empirischen Untersuchung beherrscht». Dieses wissenschaftssoziologisch bedeutsame Konzept will auf die Tatsache hinweisen, dass es «Wertinteressen
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