Max Weber (German Edition)
irgendwelcher sonstigen Propaganda für praktische Ziele oder Ideale innerhalb ihrer oder unter ihrem Namen ausgeschlossen sein muß. Sie darf sich nur in den Dienst der Erforschung von Tatsachen und ihrer Zusammenhänge stellen.» Diese Forderung Webers fand ihren wörtlichen Niederschlag im § 1 des «Statuts» der Gesellschaft: «Ihr [DGS] Zweck ist die Förderung der soziologischen Erkenntnis durch Veranstaltung rein wissenschaftlicher Untersuchungen und Erhebungen, durch Veröffentlichung und Unterstützung rein wissenschaftlicher Arbeiten und durch Organisation von periodisch stattfindenden deutschen Soziologentagen. Sie gibt allen wissenschaftlichen Richtungen und Methoden der Soziologie gleichmäßig Raum und lehnt die Vertretung irgendwelcher praktischen (ethischen, religiösen, politischen, ästhetischen usw.) Ziele ab.» Die erbitterten Kontroversen auf den beiden ersten Soziologentagen 1910 und 1912 über dieses statuarisch festgelegte Prinzip der Werturteilsfreiheit enttäuschten Max Weber tief und führten zu seinem endgültigen Ausscheiden aus der DGS im Jahre 1914. Am Ende sah Weber sich als «Don Quixote eines angeblich undurchführbaren Prinzips».
Für ein umfassendes Verständnis der Position Webers müssen die drei bisher skizzierten Hintergründe der sogenannten Werturteilsdebatte in Verbindung gebracht werden mit der generellen Lage und dem – vor allem: politischen – Selbstverständnis der deutschen Wissenschaft in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Ungeachtet der stürmischen Aufwärtsentwicklung der Naturwissenschaften in dieser Periode – beispielsweise durch die Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (KWG) in Berlin am 11. Januar 1911 – bewirkten diese bei den Geisteswissenschaften noch keine weitreichende Identitätskrise. Die dominierende soziale Machtstellung der Historiker blieb erhalten, die etablierten Disziplinen und ihre Vertreter standen, vor allem aufgrund einer vorherrschenden nationalliberalen Einstellung, in einem grundsätzlichen Konsens mit dem politischen System des Kaiserreichs. Und doch entstanden in jener Zeit Strömungen, die als «Kulturkritik» und «Kulturpessimismus» bezeichnet werden, die die Legitimität der politischen und gesellschaftlichen Ordnung, gerade vom Problem der «Sozialen Frage» her, infrage stellten. Vor allem die populären Schriften von Paul de Lagarde und Julius Langbehn setzten ein mit einer grundsätzlichen Kritik an der «falschen Wissenschaft», die einzig Tatsachen konstatieren könne, wohingegen es das Endziel einer «echten Wissenschaft» sei, Werturteile abzugeben. Entsprechend bestimmte etwa der Philosoph und Pädagoge Friedrich Paulsen es noch 1902 als die Aufgabe der deutschen Hochschulen, «in ihrer Gesamtheit etwas wie das öffentliche Gewissen des Volkes in Absicht auf Gut und Böse in der Politik» darzustellen. Derartige Forderungen, die darauf hinausliefen, aus der Gesellschaft des wilhelminischen Deutschland mit Unterstützung der deutschen Hochschulen eine möglichst konfliktfreie Gesellschaft herzustellen, fielen auch in den Hochschulen selbst auf fruchtbaren Boden.
Diese grob skizzierten vier Zusammenhangsbereiche stellen den Hintergrund dar, vor dem Max Weber seine eigene Position zu bestimmen versuchte. Sein Anliegen zerfiel im Grunde in zwei voneinander abzuhebende Argumente: erstens die Forderung nach «Werturteilsfreiheit» im engeren Sinn und zweitens das Problem der «Wertbeziehung».
Bei der Weber’schen Forderung nach «Werturteilsfreiheit» im engeren Sinn handelt es sich um die «höchst triviale Forderung: daß der Forscher und Darsteller die Feststellung empirischer Tatsachen (einschließlich des von ihm festgestellten ‹wertenden› Verhaltens der von ihm untersuchten empirischen Menschen) und seine praktisch wertende, d.h. diese Tatsachen […] als erfreulich oder unerfreulich beurteilende, in diesem Sinn: ‹bewertende› Stellungnahme unbedingt auseinanderhalten solle, weil es sich da nun einmal um heterogene Probleme handelt». In explizitem Bezug auf Hochschullehrer wie Heinrich von Treitschke, Theodor Mommsen und Gustav von Schmoller verurteilte Weber die Propagierung praktisch-politischer Ideale im Hörsaal vom Katheder aus und forderte, als das «absolute Minimum», als ein «Gebot der intellektuellen Rechtschaffenheit», die Unterdrückung der persönlichen Prophetie, die Verkündigung von «Weltanschauung».
Dass die von ihm geforderte «Scheidung von
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