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Maya und der Mammutstein

Maya und der Mammutstein

Titel: Maya und der Mammutstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Allan
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Sturm. Auf Maya wirkte der alte Schamane wie gelähmt. Seine Augen, die sie sah, wenn Blitze über den Himmel zuckten, schienen leer. Sie war nicht sonderlich besorgt; sie hatte schon oft gesehen, wie er in tiefe Trance verfallen war. Für gewöhnlich warnte er sie vor, doch manchmal geschah es, daß er unvorbereitet hinüberglitt. Sie fuhr mit ihren Essensvorbereitungen fort und verspürte nur noch ein leichtes Unbehagen angesichts dessen, was sie in der vergangenen Nacht getan hatte.
    Sie war bis kurz vor Ausbruch des Sturms draußen herumgestreift - hatte still in der Nähe des Ersten Sees gearbeitet, war müßig die Wege entlanggeschlendert (immer in Sichtweite von Geists Zelt, auch wenn der junge Schamane nirgends zu finden war).
    Schließlich hatte der Regen sie ins Geisterhaus zurückgetrie ben, wo sie Zauber vorgefunden hatte, der bereits in einer anderen Welt versunken war. Er hatte weder ein Wort gesprochen noch irgendwie erkennen lassen, daß er um ihre Rückkehr wußte.
    Der kalte Brei aus zerstoßenen Eicheln war inzwischen fertig, den Maya mit dem letzten Rest ihres Trockenfleisches und ein paar kleingehackten Grünpflanzen vermischt hatte. Die zähe graue Masse sah recht unappetitlich aus, würde ihn jedoch sättigen. Wenn sie den Schamanen denn dazu würde bringen kön nen, zu essen.
    »Zauber... ?«
    Keine Antwort.
    Sie stieß einen Seufzer aus. Manchmal verharrte er stundenlang in diesem Zustand. Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu warten. Sie zog sich ihren Fellumhang enger um die Schultern, um sich dann noch in eins ihrer Schlaffelle zu wickeln. Er ist nicht mehr da.
    Das Wissen um das Fehlen des Steins war wie ein winziger spitzer Stein, auf den sie unvermittelt trat. Es war sehr kalt in dem Zelt. Sie wünschte, sie könnte das Feuer entzünden, doch Alter Zauber hatte nichts Dahingehendes verlauten lassen. Im ganzen Lager drängten sich die Menschen dicht zusammen, auf der Suche nach ein wenig Wärme.
    Sie stieß langsam den Atem aus, der ein durchscheinendes silbriges Fähnchen vor ihrem Mund entstehen ließ. Und dann breitete sich die schmerzlichste Pein in ihr aus, die jemals ihre Muskeln ergriffen hatte. Ihr Zähne wurden fast aufeinander gepreßt, ihr Gesicht verzerrte sich urplötzlich, als kämpften die einzelnen Muskeln gegeneinander. Ein Arm
    - ihr rechter - hob sich wie von selbst, die Handfläche nach oben gedreht, und verharrte zitternd. Langsam kippte ihr Kopf nach hinten, der Hals dehnte sich unnatürlich weit, dünne Sehnen traten deutlich hervor.
    Alter Zauber riß die Augen weit auf, und für einen Moment kehrte er in die Welt der Lebenden zurück und sah Maya in ihrer Qual. Der Schamane war älter als alle anderen seines Volkes. Die kleinste Krankheit, die unbedeutendste Verletzung hätten ihn so mühelos umbringen können, wie eine Hand eine Ameise zu zerquetschen vermochte. Doch er hatte lange Jahre über seine Zeit hinaus überlebt, ja es war ihm sogar recht gut dabei ergangen. Teils lag es daran, daß sein Leben in vielerlei Hinsicht weniger anstrengend war als das er übrigen Angehörigen seines Volkes, teils mochte es darauf zurückzuführen sein, daß er sich weigerte loszulassen, bevor er nicht seine Aufgabe erfüllt hatte. Vielleicht war auch etwas anderes der Grund für sein langes Leben gewesen sein - der geheimnisvolle, mächtige Mammutstein, der ihn so lange mit Energie gefüllt hatte und dessen Kraft nun, in der Sekunde seines letzten Augenblicks, hinwegfloß in das unwissende Fleisch des Schwarzen Karibus, weit, weit weg am Ufer der dahinstürzenden Wasser.
    Karibu hatte außer einer schwachen Wärme nichts gespürt. Doch genau in dem Moment, in dem er auf die kleine Schnitzfigur blickte und mit dem Finger über die glatte Oberfläche fuhr, krampfte sich jeder Muskel des Schamanen zusammen, und er riß die Augen weit auf. Adern platzten wie winzige durchgefaulte Dämme, und eine Flut pulsierenden Blutes ergoß sich in sein Inneres. Mehr und immer mehr Blut floß auch in seine Augen, die nicht länger weiß waren, und große purpurfarbene Flecke entstellten sein Gesicht.
    Er fühlte nichts. Es geschah völlig schmerzlos. Für ihn sah es so aus, als werde ein breiter roter Vorhang langsam vor seinen Augen herabgelassen.
    Ein letztes Mal fiel sein Blick auf Maya, deren Züge in stummer Qual verzerrt waren. Er wollte die Hand nach ihr ausstrecken, sie berühren, ihr helfen, doch es war zu spät.
    Zu früh und zu spät!
    »Maya ...«, stöhnte er.
    Dann fiel der

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