Maya und der Mammutstein
war. Ein Augenlid war geschlossen, das andere offen und entblößte einen Augapfel, der von geplatzten Äderchen durchzogen war.
Der Augapfel stierte ins Leere, und plötzlich erschauerte Geist und ließ Zaubers Haupt los. Ein zweites Mal schlug das Gesicht des Schamanen auf. Tot.
Tot, tot, TOT!
»Ahhh!« Ein gewaltiger Freudenschrei entrang sich Geists Kehle. Er warf den Kopf zurück und preßte den ekligen Laut aus seinen Lungen, aus seinem Hals, denn wenn er ihn in sich behalten hätte, wäre er mit Sicherheit geplatzt wie eine faule Frucht.
» AIEEEEEEAAAAHHHH!«
Maya stöhnte schwach und preßte sich die Hände auf die Ohren. Sie schloß die Augen.
»AAAHHHGGGHH!«
»Geist...«
Donner übertönte ihre Bitte, als habe sie sie nie geäußert. Geist hätte noch stundenlang jubilieren können, während er über Zaubers zusammengefallenem Körper hockte, und die Muskeln an seinem Hals und seiner Kehle sich zusammenkrampften, um diese gräßlichen Laute aus seinem Innern freizusetzen - selbst der Donner konnte seine Freude nicht gänzlich übertönen.
Irgend jemand stürzte ins Geisterhaus, eine massige, regennasse Gestalt, die nach verfilztem Fell und Schweiß und Rauch stank.
»Was geht hier vor? Was ist passiert?« Speer versuchte sich einen Überblick zu verschaffen, doch in dem Zelt war es zu dunkel, als daß er etwas hätte erkennen können.
»Geist, bist du das? Maya! Was?«
Wieder zuckte ein Blitz über den Himmel. Speer erblickte den über die leblose Gestalt von Altem Zauber gekauerten Geist, ein wilder Hund, der seine Beute bewachte. Die Hände des jungen Schamanen waren zu Klauen gekrümmt, und seine Augen funkelten in einem teuflischen Licht.
Als er zu sprechen ansetzte, war seine Stimme beherrscht und vernünftig.
»Alter Zauber ist tot«, sagte er ruhig. Er blickte auf seine Finger hinab, schien erstaunt, sie so gekrümmt zu sehen, und unternahm eine sichtbare Anstrengung, sich zu entspannen. Scheinbar wie von selbst tasteten seine Hände nach Altem Zaubers Haupt und betteten es in eine natürlichere Lage. »Ich habe meinen Schmerz gesungen, Speer. Hast du es gehört?«
Die entsetzlichen Laute, die aus dem Geisterhaus gedrungen waren und Speer - und andere - hastig herbeigeführt hatten, hatten in den Ohren des Jägers nicht sehr nach Schmerz geklungen, eher wie der Triumphschrei eines großen Fleischfressers, der über eine erlegte Beute jubelte. Doch Speer war nicht in der Stimmung, Zweifel an der Handlungsweise des neuen Schama nen zu äußern.
Und das war derjenige nun, der ihn über die Leiche des alten Schamanen hinweg ansah. Was immer auch Geist einst gewesen sein mochte, er war nun der Schamane des Volkes des Mammuts, und das erregte Leuchten in seinen Augen strafte die Gelassenheit, die sein schmales Gesicht spiegeln sollte, Lügen.
»Ich habe verstanden, Schamane«, erwiderte Speer mit sanfter Stimme.
»Geist...«, flüsterte Maya wieder. Sie schien nichts anderes sagen zu können.
Speer warf ihr einen schiefen Blick zu. »Sie war bei ihm?«
Geist hörte die Abneigung, ja die Furcht in Speers Stimme, als er diese Worte ausstieß, und mit einemmal begriff er, daß sein Sieg vollkommen war. In Speers Augen war dies die Kindfrau, die den Tod ihrer leiblichen Mutter, den ihrer Schwester und den ihrer Ziehmutter verursacht hatte, und nun war sie offensichtlich Zeugin - zumindest Zeugin - des Todes des Schamanen geworden, der mit ihr befreundet gewesen war.
»Ja«, erklärte er, und seine Stimme war so ausdruckslos wie die von Mayas verzweifelter Bitte.
»Töte sie«, verlangte Speer.
Geist lächelte. »O nein, Speer«, versetzte er. »Ich bin jetzt der Schamane.
Vertrau mir, ich weiß, wie ich mit... bösen Geistern verfahre.«
Noch einmal richtete Speer den Blick auf das Mädchen, um dann rasch wieder fortzusehen, als fürchte er sich, sie zu lange anzuschauen. »Was immer du sagst, ... Schamane.«
Und verschwand.
»Geist?«
Der neue Schamane ließ Zaubers Kopf erneut fallen, erhob sich und hinkte auf Maya zu. »Mach dir keine Sorgen, kleine Maya. Jetzt ist alles vorüber.« Er schwieg und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, kostete den Triumph, an den er schon gar nicht mehr geglaubt hatte, bis zur Neige aus.
Und nun war er da. O ja, das war er.
Er lächelte.
»Jetzt ist alles vorbei«, wiederholte er, und Maya, die nun endlich verstand, in welch entsetzliche Lage sie sich gebracht hatte, begann zu weinen.
Flußlager des Bisonvolks
»Finde heraus, woher
Weitere Kostenlose Bücher