Maya und der Mammutstein
wie damals, als Sie zu Mutter Löwe gesprochen hatte; eine Begebenheit, die Maya für ihr ur-eigenes Geheimn is hielt, doch er hat es im Traume gesehen, und das hatte ihn nur in seinem Glauben an die einzigartige Bestimmung Mayas bestärkt -, aber im großen und ganzen überließ die Große Mutter es dem Volk, was dieses für sich erreichen mochte oder nicht.
Er hatte seine Pflicht. Seine Pflicht war es, das Geheimnis zur Erfüllung zu bringen. Er konnte diese Aufgabe bewältigen, wenn er lange genug lebte. Aber was würde geschehen, wenn dem nicht so war? Würde die Mutter erneut einschreiten? Und was wäre, wenn Sie es nicht täte? Sie war Herrscherin über die ganze Welt - vielleicht würde das Volk einfach beiseite geschoben, um für immer unterzugehen.
Er konnte versuchen, das Volk vor diesem Schicksal zu bewahren. Beere war alt, aber robust und immerhin jünger als er. Er schätzte, daß es noch sieben, höchstens acht Sommer dauern würde, bis Maya bereit war. Doch schon hatten die Dinge sich zum Schlimmen gewandt. Wenn Haut schon seine eigene Tochter verstieß, was konnten dann Zaubers Befehle noch bewirken? Haut mochte diese Befehle mit Groll im Herzen befolgen, doch Mayas Gegenwart würde immer ein störender Stachel in seinem Fleische sein.
Alter Zauber war weise, und er kannte sich gut mit Männern und Frauen aus. Unfälle konnten sich jederzeit ereignen - oder herbeigeführt we rden.
Wenn er Haut gegen dessen Willen zwang, Maya bei sich aufzunehmen, konnte das ein Unglück nach sich ziehen. Es mußte einen anderen Weg geben, doch er wußte noch nicht, welchen.
Trotzdem mußte er in diesem Moment den ersten Schritt unternehmen. Er hatte bereits Mayas Fehlen bei den Bestattungsriten bemerkt. War das ein Vorgeschmack dessen, was noch kommen sollte?
Möglich, entschied er. Maya konnte nicht länger bei Haut bleiben. Doch er stellte sich die Frage, wer sie zu sich nehmen sollte.
Er öffnete seine tränenden Augen und starrte Beere über das Feuer hinweg an. Sie wirkte wie ein uralter, behauener Felsbrocken, zuverlässig und unvergänglich. Sie strahlte Stärke und Würde aus, und das ließ es ihm warm ums Herz werden. Vielleicht würden sie es ja gemeinsam schaffen.
Vielleicht.
»Ich will dir ein Geheimnis anvertrauen...«, setzte er an.
KAPITEL ACHT
Das Grüne Tal: 17983 v. Chr.
Maya ließ Alte Beere zurück und lief weit voraus. Der Morgen strahlte blau und klar über dem Tal; die heißesten Tage des Sommers zogen heran, aber das kümmerte Maya nicht. Sie genoß es nur, daß sie endlich einmal der unablässigen Aufsicht der alten Frau entronnen war, ihren schweren Umhang abnehmen, ihn um den Arm wickeln und wie der Wind durch den Schatten der hoch in den Himmel ragenden Bäume rennen konnte.
Auch ihre Mokassins trug sie in der Hand. Weiter vorn senkte sich der Pfad sanft aus dem Wald heraus, hinab zu einer kleinen, versteckten Bucht des Zweiten Sees; der winzige Sand strand dort war ihr Lieblingsplatz im ganzen Tal. Während sie rannte und die kristallklare Luft in die Lungen saugte, verspürte sie einen Anflug von Schuldbewußtsein. Es war sieben Jahre her, daß Knospe und Blüte gestorben waren - sieben lange Jahre voller Schmerzen und Zurückweisung und Schuld. Die Zeit hatte die einst klaffenden Wunden sich schließen lassen, doch sie eiterten immer noch: Haut tat immer noch, als exi stierte sie gar nicht, Stein begegnete ihr mit Verachtung, selbst wenn er sie in die Geheimnisse seines Handwerks einweihte, die anderen Frauen und die Mädchen ihres Alters schlössen sie aus ihrer Gemeinschaft aus. Abgesehen von Zauber und Beere hatte sie keinerlei Freunde, und obwohl sie beide von Herzen liebte, waren sie ihr doch so fern wie die urzeitlichen Eichen und Ahornbäume und Kiefern, an denen ihr geschmeidiger brauner Körper nun vorüberglitt.
Jenseits der Bäume sah sie bereits die glatte Oberfläche des Sees in der Sonne glitzern. Dichter am Waldrand, wo die Sonnenstrahlen sich ihren Weg durch die dünner werdenden Baumkronen hinab auf den Boden bahnen konnten, wuchs das Unterholz immer dichter, verengte sich der Pfad. Maya verlangsamte ihre Schritte und bahnte sich vorsichtig ihren Weg. Sie genoß es, die dunkle, weiche Walderde unter ihren nackten Füßen zu spüren.
Kurze Zeit später erreichte sie den Strand. Sie warf einen raschen Blick zurück über die Schulter, doch Alte Beere war noch nicht in Sicht.
Zweifellos würde ihr die betagte Frau nachkommen. Doch ein paar kostbare
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