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Maya und der Mammutstein

Maya und der Mammutstein

Titel: Maya und der Mammutstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Allan
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Augenblicke war Maya ganz allein.
    Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und ließ sich auf den Sand fallen, der sie wärmte. Der Zweite See dehnte sich scheinbar unendlich vor ihr aus; die Böen, die seine Oberfläche den Großteil des Jahres über kräuselten, hatten sich kurzfristig gelegt.
    Sie genoß die Stille um sich herum, da es ihr meist unmöglich war, dem Lärm des Lagers zu entfliehen: den Rufen und Schreien der Kinder - so vieler Kinder -, den Liedern und dem Gelächter der Männer, dem Plappern der Frauen bei der Arbeit. Ein dichter Nebel aus Geräuschen und Lauten hüllte sie stetig ein, so daß er ein Teil ihrer selbst geworden war wie der Wind oder der Rauchgeruch von den Feuerstellen.
    Ganz langsam drangen in der Stille ungewohnte, leisere Töne an ihre Ohren, als sie sich in den kostbaren Momenten der Ein samkeit auf dem Sand ausstreckte. Sie hörte das hohe Pfeifen der Eichhörnchen, die durch das Astwerk huschten; das schwa che Plätschern winziger Wellen, die ein paar Fuß entfernt auf die Steine schlugen; das schrille, hohe Rufen von Amseln und den tieferen, kehligeren Ruf einiger Enten, die sicher auf der Mitte des Sees schwammen.
    Die Sonne fühlte sich angenehm an auf ihrem Gesicht. Sie schloß die Augen und lag ganz still da, versuchte so zu tun, als sei sie das einzige Mädchen im ganzen Tal. Für einen Moment gab sie sich dem verlockenden Gedanken hin, nicht mehr zum Volk zurückkehren zu müssen, wo es immer Winter war und die Sonne ihr Gesicht nicht streichelte:
    Der erste Krampf traf sie völlig überraschend. Sie stöhnte und wälzte sich auf die Seite, hielt sich den Bauch. Dann führte eine neuerliche Schmerzwelle dazu, daß sie sich zu einem verkrümmten Muskelpaket zusammenzog. Als der Anfall vorüberging, blieb sie schlapp und schwitzend und zu Tode erschrocken
    liegen.
    Starb sie? Vielleicht wurde ihr nach all diesen Sommern ihr kindlicher Wunsch nun endlich erfüllt. Mutter Löwe hatte sie einst verschont; vielleicht hatte die Große Mutter sich nun entschieden, sie zurückzunehmen, den bösen Geist in ihr zu vernichten.
    Sie bewegte ihre Beine und spürte etwas Warmes, Klebriges da unten. Sie griff mit der Hand zwischen ihre Beine und hob sie vor ihre Augen, um dann auf das helle Blut zu starren, das an ihren Fingern glitzerte.
    »Ahhhh! Ich sterbe!« Die eigene Stimme klang wie von weit entfernt, als spreche jemand anderes die schrecklichen Worte zu ihr.
    Der nächste Krampfanfall ließ ihr Tränen in die Augen schießen. Diesmal dauerte es nicht so lange, und als es vorüber war, streckte sie sich wie von Sinnen auf der Erde aus und wartete darauf, daß die Große Mutter erscheinen und sie zu sich holen würde.
    »Tot, bald bin ich tot«, wimmerte sie leise. Irgendwie war es keine Überraschung für sie. Sie spürte, wie ihr das Leben zwischen den Schenkeln entrann. Tränen funkelten auf ihren Wangen. Sie fragte sich, ob sie wohl Blüte und Knospe wiedersehen würde.
    »Ahhhooo«, stöhnte sie.
    »Was ist los mit dir?«
    Zuerst dachte Maya, die Große Mutter sei nun endlich gekommen. Doch es war nur Beere, deren hagere, verkrümmte Gestalt - je mehr sie alterte, desto kleiner war sie geworden - drohend über ihr aufragte.
    Stumm zeigte Maya der alten Frau ihre blutverschmierten Hnger. »lcn sterbe«, flüsterte sie. »Ich gehe heim zur Mutter.«
    Doch Alte Beere schüttelte nur den Kopf und ließ ihre ächzenden, schmerzenden Knochen sodann langsam auf den Sand sinken. Als sie sich schließlich gesetzt hatte, sagte sie: »Nein, du stirbst nicht.«
    »Nicht?«
    »Ich glaube«, fuhr Alte Beere fort, »es ist Zeit, daß wir uns einmal unterhalten.«
    Geist schlug sich verärgert mit der linken Hand gegen das Knie. Speer hatte sich verspätet. Geist saß auf einem Baumstumpf vor seinem Haus -
    dem wahren Geisterhaus, dafür hielt er es mittlerweile - und sah einer Spinne von der Größe seines kleinen Fingers zu, wie sie im Zickzack über den Pfad aus festgeklopfter Erde vor seinem Sitz huschte. Geist trug nur Beinlinge; seine schmale, knochige Brust, von rituellen Tätowierungsnarben gezeichnet, war nackt den sengenden Sonnenstrahlen ausgesetzt.
    Einst hatte sein Zelt am Rand des Lagers gestanden; nun befand es sich beinahe in dessen Zentrum. Viel hatte sich in den vierzehn Sommern, die seit dem Eintreffen des Volkes im Grü nen Tal vergangen waren, bei ihnen geändert. Die Kinder, die hinter ihren Eltern hergekrabbelt waren, waren herangewachsen und hatten ihre eigenen Zelte

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