Maya und der Mammutstein
langen und scharfen Speeren.
Hierher kamen die Jäger, um sich für die Jagd vorzubereiten; hielten Festessen ab, fasteten, und erhielten einen Kräutertrank, der von Zauber und in letzter Zeit von Geist gebraut worden war, ein Trank, der die Geister in Träume erscheinen ließ, die alle teilen konnten. Und dem jungen Schamanen war es auch überlassen, die alten Lieder zu singen, die Bison und Karibu und Mammut in ihr Verderben riefen. Alter Zauber hatte ihn
all diese Aufgaben übertragen, und Geist war es wohl zufrieden gewesen.
Er trug die Verantwortung für das Gelingen der Jagd, und das verlieh ihm große Macht. Geist fragte sich, wie Zauber dies nur so leichtfertig hatte aufgeben können. Doch im Grunde kümmerte ihn das nicht. Was ihn interessierte, war, daß seine Magie dem Volk Jagdbeute verschafft hatte und die Jäger ihn dafür achteten.
Er blickte um sich und bemerkte Speer, der in seinem Erzählen innegehalten hatte und zu ihm hochblickte; Speer und er waren Freunde geworden, so gute Freunde, wie zwei so verschiedene Männer es nur werden konnten. Geist entsann sich des Tages, an dem diese Entwicklung ihren Anfang genommen hatte. Damals hatte er Speer bei einer Jagd das Leben gerettet. Speer war von einer wütenden Mammutmutter angegriffen worden, und Geist hatte sie allein mit seiner Magie getötet.
Das soll der alte Schamane mir erst mal nachmachen! dachte er, während er Speer kaum merklich zunickte. Der Jäger erwiderte die Geste just in dem Augenblick, als Alter Zauber aus dem Mysterienzelt trat und sich räusperte.
Geist hatte keine Ahnung, was der Alte sagen würde. Er war nicht einmal sicher, ob es ihn überhaupt interessierte. Laß den alten Narren noch ein wenig seine neugewonnene Kraft genießen. Laß ihn noch ein wenig seine fremdartigen, bösen Spielchen mit dieser Hündin treiben. Vielleicht würde er sie ja zur Frau nehmen.
Als Zauber ihm beiläufig mitgeteilt hatte, daß Maya ins Geisterhaus umziehen würde, war er fast verrückt vor Neid geworden. Doch dann, noch bevor sein Gesicht auch nur die leiseste Regung hatte zeigen können, war eine Kälte in ihm aufgestiegen, eine Kälte, die alles andere lahmte.
Die geheime Stimme, die so oft zu ihm sprach: »Alles wird gut werden.
Sie gehört ihm. Also wird sie dir gehören, zusammen mit dem Rest seines Besitzes, wenn er erst gestorben ist.«
Geist lächelte insgeheim. Die meisten der Umstehenden hielten ihre Blicke auf Alten Zauber gerichtet, lasen ihm die Worte von den Lippen ab. Doch Wolf, Mayas Bruder, sah den Schatten des Lächelns, der über Geists Züge huschte, und schauderte, obwohl er nicht wußte, weshalb.
»Alte Beere, ist das nicht wundervoll?«
»Ist was nicht wundervoll?«
»Ich werde in Altem Zaubers Haus wohnen und für ihn sorgen!«
Die alte Frau unterbrach ihre Arbeit. Sie hatte sich nun schon eine geschlagene halbe Stunde das begeisterte Plappern von Maya über alles mögliche angehört, doch die Neuigkeiten, die sie sich bis zum Schluß aufbewahrt hatte, war die alarmierendste. »Maya, was redest du da? Was hat er noch gesagt?«
Maya blickte auf; sie hatte ihren zweiten Überwurf und die dazugehörigen Beinlinge säuberlich zu einem Päckchen verschnürt. Sie hatte nicht eben viel zusammenzupacken: ihre Kleidung, die Geschenke, die Zauber ihr über die Jahre hinweg gemacht hatte, ein paar Krauter, die sie frisch gesammelt hatte. Und Moos - Beere hatte sie daran gemahnt, Moos mitzunehmen. Wahrscheinlich würde die Blutung noch ein oder zwei Tage anhalten, hatte Alte Beere ihr erzählt. Die Vorstellung machte Maya einige Sorgen; Blut bedeutete Tod. Es war irgendwie nicht richtig, daß sie blutete, obwohl sie doch nicht verletzt war. Alte Beere jedoch versicherte ihr, daß dem nun mal so war.
Jetzt vernahm sie einen warnenden Unterton in Beeres schroffer Stimme, als habe die alte Frau ein wenig Angst vor dem, was sie sagen würde.
Maya dachte kurz nach und kam zu keinem anderen Ergebnis, als daß deren Gedanken ihr immer noch ein völliges Rätsel waren. Maya wollte die andere Frau - andere Frau; ich bin jetzt auch eine Frau, dachte sie mit einem aufgeregten Kribbeln in der Magengegend - gerne beschwichtigen, doch es gab eigentlich nichts, was sie hätte sagen können. Zauber hatte ihr ein hübsches Schnitzwerk gezeigt und ihr dann eröffnet, daß sie zu ihm ziehen würde. Das war alles - oder?
Sie entsann sich an nichts anderes mehr, und so erklärte sie zögernd: »Er hat nichts weiter gesagt. Nur, daß ich
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