Maya und der Mammutstein
Grund, warum das Lager so verlassen, so leer wirkte. Natürlich war das der Grund.
Sie zupfte ein letztes Mal an der Bettstatt aus Zweigen und Fellen herum.
Der süße Duft des Harzes drang ihr in die Nase, und sie lächelte. Jetzt, wo sie ihr Lager aufgeschlagen und ihre wenigen Habseligkeiten daneben verstaut hatte, fühlte sie sich mit einemmal im Geisterhaus heimisch.
Ich lebe jetzt hier, dachte sie plötzlich und empfand eine Mischung aus Glück und Erstaunen. Dies ist mein Heim.
Sie hatte niemals ein wirkliches Heim gehabt.
Knospe, was ist geschehen! Was ist wirklich geschehen!
Die Wucht dieses Irrgedankens ließ ihre Muskeln zucken wie in einem bösen Traum. Sie schnappte nach Luft. Plötzlich wirkte die Stille, die der Schrei eines einzelnen Vogels noch hervorhob, der dicht über das Lager hinwegflog, unheilverkündend. Sie riß die Augen weit auf; sie ließ den Blick ziellos durch das Geisterhaus schweifen, bis er fast wie von selbst auf einem sorgfältig verschnürten Bündel hinter Zaubers Bett verweilte; der hübsch geschnitzte Stein befand sich dort.
Sie starrte das geheimnisvolle Päckchen an, und wieder vernahm sie eine Stimme, die etwas zu ihr sagte, was sie jedoch nicht verstehen konnte.
Dann wieder nichts. Stille und das Geräusch ihrer eigenen Atemzüge.
In dem immer brennenden Herdfeuer im Zentrum des Geisterhauses knisterte und knackte es, und das brach den Bann. Maya schüttelte den Kopf und wartete, bis ihr wie rasend schla gendes Herz sich wieder beruhigte. Aus irgendeinem Grund juckte es sie in den Fingern, die Verschnürung jenes Päckchens zu lösen, das kleine Stückchen geschnitzten Elfenbeins herauszunehmen, seine warme, glatte Oberfläche über die weiche Haut ihrer Wange zu reiben.
Das war ein böser Wunsch. Alter Zauber würde das nicht gutheißen.
Und dennoch sehnte sie sich danach, den Stein zu berühren.
»Abendessen«, erinnerte sie sich selbst. »Wenn Alter Zauber zurückkehrt, wird er hungrig sein.«
Der Klang ihrer eigenen Stimme vertrieb die letzten Reste ihrer seltsamen Versunkenheit, sie rutschte auf die Fersen zurück, klatschte sich mit den Händen auf die Oberschenkel und erhob sich. Die Frauen mochten ja alle beim Zelt des Mysteriums sein, doch Maya wußte, daß man sie nicht aufgefordert hatte, sich zu ihnen zu gesellen. Man würde sie nie dazu auffordern. Doch sie hatte zu essen, war vieler Dinge kundig und hatte einen Platz im Zelt des Schamanen.
Abendessen und Wärme und, zumindest für den Augenblick, Frieden.
O Knospe, was ist geschehen!
Sie schlug die Klappe am Eingang des Zeltes zurück und richtete sich in der Nachmittagssonne auf, lauschte dem gedämpften Gemurmel erregter Stimmen. Die Versammlung war vorüber.
Sie hätte gern gewußt, was beschlossen worden war, schob den Gedanken jedoch beiseite. Alter Zauber würde es ihr schon früh genug erzählen.
Schließlich war sie jetzt die Frau von Altem Zauber. Sie fragte sich, ob das bedeuten mochte, daß der Schamane ihr sein Ding zwischen die Beine stecken würde, dahin, wo das Blut immer noch in das getrocknete Moos sickerte. Die Vorstellung verursachte ihr ein flatterndes Gefühl in der Magengegend; sie hätte nicht genau sagen können, ob es Furcht oder Glück war. Sie bückte sich und zerrte einen Fellappen von dem Loch im Boden neben dem Geisterhaus fort, wo Zauber seine Fleischrationen aufbewahrte. Sie wühlte in dem übelriechenden Zeug herum, bis sie den klumpigen, schlaff herunterhängenden Rumpf eines großen Hasen ertastet hatte. Sie zog ihn hervor und nahm eins der Schabmesser, die neben dem Loch aufgehäuft waren, rieb es an ihrem Oberschenkel ab, um die letzten Reste getrockneten Fleisches zu entfernen, und machte sich daran, die Haut vom Körper des Hasen zu lösen.
Nordwestlich des Grünen Tals
Frühlingsblume spürte, wie langsam ein Gefühl der Taubheit in ihre Fingerspitzen kroch, die gleichzeitig zu prickeln begannen; es ähnelte dem Gefühl, das man empfand, wenn man zu lange in einer bestimmen Position gehockt hatte und die Füße eingeschlafen waren, und man tanzen und sich hektisch bewegen mußte, damit wieder Leben in die Gliedmaßen zurückkehrte. Doch dieses Gefühl war in ihren Fingerspitzen, und es war auch ein ganz klein wenig anders.
Alles war anders. Sie konnte nicht genau beschreiben, wie es war, doch anders war es. Alles. Zum Beispiel, wie Schwarzes Karibu, ihr großer Bruder, sie verstohlen von der Seite beobachtete und sich dann, wenn sie seinen Blick
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