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Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Mayas Tagebuch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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und bettete mich dort behutsam wie eine Mutter ihr Neugeborenes.
    Im Haus von Olympia Pettiford war ich dem Horror des Entzugs vollständig ausgeliefert, der, wie es heißt, schlimmer ist als jeder andere körperliche Schmerz, jedoch weniger schlimm war als die seelische Qual, mich weiter als würdeloser Abschaum zu fühlen, und weniger schlimm als der fürchterliche Schmerz, einen geliebten Menschen wie meinen Pop zu verlieren. Allein der Gedanke, ich könnte Daniel verlieren … Olympias Ehemann, Jeremiah Pettiford, war ein echter Engel, und die Witwen für Jesus, einige ältere schwarze Frauen, leidgeprüft, herrisch und großherzig, wechselten sich mit ihm ab, um mich durch die schlimmsten Tage zu bringen. Als mir die Zähne so sehr klapperten, dass ich kaum ein Wort herausbrachte, ich verzweifelt um einen Schluck bettelte, nur einen einzigen Schluck von was Hartem, nur um weiterzuleben, als das Zittern und die Zuckungen mich marterten, und die Krake des Verlangens meine Schläfen zusammenpresste, mich zerquetschte mitihren tausend Tentakeln, als ich schwitzte und mich wand und kämpfte und zu fliehen versuchte, hielten diese wundervollen Frauen mich fest, wiegten mich, trösteten mich, beteten und sangen für mich und ließen mich nicht einen Augenblick allein.
    »Ich habe mein Leben zerstört, ich kann nicht mehr, ich will sterben«, schluchzte ich irgendwann, als ich mehr herausbekam als Beleidigungen, Bitten und Flüche. Olympia nahm mich an den Schultern, zwang mich, ihr in die Augen zu sehen, sie wirklich anzusehen, die Ohren zu spitzen und ihr zuzuhören: »Wer hat gesagt, dass es leicht wird, Mädchen? Halt durch. Daran stirbt man nicht. Ich verbiete dir, noch einmal davon zu reden, dass du sterben willst, das ist Sünde. Gib dich in Jesu Hand, und du wirst ein anständiges Leben führen in den siebzig Jahren, die dir bleiben.«
    Irgendwie trieb Olympia Pettiford ein Antibiotikum für mich auf, das meiner Harnwegsentzündung den Garaus machte, und Valium, um mir beim Entzug zu helfen; vermutlich ließ sie beides reinen Gewissens aus dem Krankenhaus mitgehen, da sie sich der Vergebung durch Jesus von vornherein sicher sein durfte. Meine Blasenentzündung habe auf die Nieren übergegriffen, erklärte sie mir, aber durch ihre Spritzen wurde es binnen Tagen besser, und dann bekam ich Tabletten, die ich noch zwei Wochen nahm. Ich weiß nicht, wie lange die Höllenqualen des Entzugs dauerten, es werden nur zwei, drei Tage gewesen sein, sie fühlten sich jedoch an wie Monate.
    Sehr langsam kroch ich aus dem Schacht und zurück an die Oberfläche. Ich konnte schon etwas Suppe und Haferflocken mit Milch essen, mich ausruhen und für Momente sogar schlafen; die Uhr erlaubte sich einen Spaß mit mir, zeigte Stunden an, die mir lang wurden wie Wochen. Die Witwen für Jesus badeten mich, sie schnitten mir die Nägel und entlausten mich, sie versorgten die entzündeten Einstichstellen an meinen Armen und die Wunden, wo die Kabel mir ins Fleisch geschnitten hatten, massierten die Krusten mit Babyöl, damit sie weich wurden, besorgten mir etwas Sauberes zum Anziehen und passten auf, dass ich nicht aus dem Fenster sprang und auf die Suche nach Drogen ging. Als ich schließlich wieder einigermaßen bei Kräften war, nahmen sie mich mit in ihre Kirche, einen himmelblau gestrichenen Schuppen, in dem sich die Mitglieder ihrer kleinen Gemeinde versammelten. Junge Leute gab es keine, alle waren Afroamerikaner, die meisten Frauen, und ich erfuhr, dass die wenigen Männer nicht notwendig verwitwet sein mussten. Jeremiah und Olympia Pettiford trugen violette Priesterkutten mit gelben Schließen und leiteten einen Gottesdienst, um Jesus in meinem Namen zu danken. Diese Stimmen! Sie sangen mit dem ganzen Körper, wiegten sich mit zum Himmel erhobenen Armen wie Palmen – und waren fröhlich, so fröhlich, dass ihr Gesang mich von innen reinigte.
    Olympia und Jeremiah wollten nichts über mich erfahren, nicht einmal meinen Namen, ihnen genügte, dass Freddy mich zu ihnen gebracht hatte. Sie errieten wohl, dass ich vor etwas auf der Flucht war, und wollten lieber nicht wissen, wovor, sollte ihnen irgendwann jemand heikle Fragen stellen. Sie beteten jeden Tag für Freddy, baten Jesus darum, dass er einen Entzug machte und Hilfe und Liebe annahm, »aber manchmal dauert es ein bisschen länger, bis Jesus antwortet, er muss sich ja um so viele Bitten kümmern«, erklärten sie mir. Auch ich musste ständig an Freddy denken, fürchtete,

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