Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
täte einem hinterher leid. Meine Nini glaubt, wenn er eine Waffe besessen hätte, dann wäre sie eine Woche nach ihrer Hochzeit zum Einsatz gekommen, als er feststellte, dass sie seine Opernpartituren ins Altpapier getan hatte. Was hätten die Mitglieder des Verbrecherclubs nicht alles für die beiden Kisten voller tödlichem Spielzeug gegeben! Doch wir warfen nur die Taschen ins Auto, meine Nini fegte einmal durch, um unsere Fußabdrücke und die Reifenspuren des Rollstuhls zu verwischen, dann schlossen wir ab und fuhren davon. Unbewaffnet.
Nachdem wir Wasser und Proviant für die Fahrt gekauft hatten, die etwa zehn Stunden dauern würde, suchten wiruns ein Motel, um uns zunächst ein paar Stunden auszuruhen. Mike und meine Nini waren im Flugzeug angereist und hatten den Wagen am Flughafen gemietet, sie machten sich keine Vorstellung davon, wie lang und öde die Fahrt auf dem schnurgeraden Highway ist, aber zumindest herrschte zu dieser Jahreszeit nicht die übliche Bruthitze von über vierzig Grad Celsius. Mike O’Kelly nahm die Taschen mit dem Räuberschatz in sein Zimmer mit, und ich teilte mir nebenan ein breites Bett mit meiner Großmutter, die die ganze Nacht meine Hand hielt. »Ich hau schon nicht ab, Nini, keine Sorge«, versicherte ich ihr, schon halb weggetreten vor Müdigkeit, aber sie ließ mich nicht los. Wir schliefen beide nicht gut und nutzten die Zeit dann lieber zum Reden, wir hatten viel auf dem Herzen. Sie erzählte mir von meinem Vater, wie sehr er darunter gelitten hatte, dass ich abgehauen war, und sagte noch einmal, sie werde es mir nie verzeihen, dass ich sie fünf Monate, eine Woche und zwei Tage ohne ein Lebenszeichen gelassen hatte, ich hätte ihr und meinem Vater die Nerven ruiniert und das Herz gebrochen. »Verzeih mir, bitte, Nini, daran habe ich nicht gedacht, ich …« Und tatsächlich war ich gar nicht auf den Gedanken gekommen, ich hatte nur an mich gedacht.
Ich fragte nach Sarah und Debbie, und sie erzählte, sie sei bei der Abschlussfeier meiner Klasse an der Berkeley High gewesen, auf besonderen Wunsch von Mr. Harper, mit dem sie inzwischen befreundet war, weil er immer nach mir gefragt hatte. Debbie hatte mit den anderen aus meiner Klasse ihren Abschluss gemacht, aber Sarah hatte von der Schule abgehen müssen, war seit Monaten in einer Klinik, nur noch Haut und Knochen und wohl kaum zu retten. Nach der Feier sei Debbie zu ihr gekommen und habe nach mir gefragt. Sie trug ein blaues Kleid, war rosig und hübsch, keine Spur von den Vampir-Klamotten und der Kadaverschminke, und meine Nini hatte ihr grimmig geantwortet, ich hätte einen Millionenerben geheiratet und sei auf denBahamas. »Wieso hätte ich der sagen sollen, dass du verschwunden bist, Maya? Das Vergnügen hätte ich ihr nicht gegönnt, bei allem, was die miese Schnepfe angerichtet hat mit ihrem Benehmen.« Da war er wieder: der Don Corleone der chilenischen Mafia, der nie verzeiht.
Rick Laredo wiederum war für einen Schwachsinn ins Gefängnis gewandert, wie er nur ihm einfallen konnte: Entführung von Haustieren. In miserabel geplanten Operationen stahl er irgendwelche Schoßhündchen, rief dann bei der Familie an und forderte Lösegeld. »Die Idee hat er wohl von dieser Guerilla, wie heißt die noch? FARC? Die da in Kolumbien Millionäre entführen. Aber keine Sorge, Mike kümmert sich um ihn, und er kommt bald raus.« Ich erklärte ihr, es bereite mir nicht die geringste Sorge, Rick Laredo hinter Gittern zu wissen, ich sei vielmehr überzeugt, dass es sich hierbei um den Ort handele, den die Ordnung des Universums für ihn vorsehe. »Sei doch nicht so, Maya, der arme Junge war sehr verliebt in dich. Wenn er rauskommt, besorgt Mike ihm einen Job beim Tierschutzverein, damit er lernt, anderer Leute Hunde zu respektieren, das ist doch gut, oder?« Auf die Idee wäre Schneewittchen im Leben nicht gekommen, sie musste auf Ninis Mist gewachsen sein.
Mike rief uns um drei in der Früh von seinem Zimmer aus an, wir frühstückten Bananen und Muffins, luden unsere paar Sachen ins Auto und waren eine halbe Stunde später mit meiner Großmutter am Steuer unterwegs nach Kalifornien. Es war stockfinstre Nacht, eine gute Zeit, um dem Verkehr und möglichen Kontrollen zu entgehen. Ich nickte immer wieder ein, hatte Sägemehl in den Augen, Trommeln im Kopf, Watte in den Knien und hätte Gott weiß was darum gegeben, ein Jahrhundert durchzuschlafen wie Dornröschen. Nach Hundertneunzig Kilometern fuhren wir vom Highway ab und
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