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Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Mayas Tagebuch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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unverändert vorhanden und es brauche sehr viel Mut, zu ihnen vorzudringen, aber er müsse das nicht alleine tun, sie und ich würden ihn begleiten. Er sei kein wehrloser Gefangener mehr in den Händen seiner Henker, werde aber niemals wirklich frei sein, wenn er sich dem erfahrenen Leid nicht stellte.
    »Das Schlimmste hast du in der Villa Grimaldi erlebt, Manuel. Am Ende unseres Besuchs zeigte uns der Museumsführer die Zellen, die man dort zu Demonstrationszwecken nachgebaut hat. Es gab welche, die waren ein auf zwei Meter groß, dort wurden mehrere Gefangene eingesperrt, sie mussten dicht gedrängt darin stehen, tagelang, wochenlang, und wurden nur herausgeholt, um sie zu foltern, oder damit sie aufs Klo gehen konnten.
    »Ja, ja … in so einer war ich mit Felipe Vidal und anderen Männern. Sie gaben uns kein Wasser … es war eine Kiste ohne Luft, wir schwammen in Schweiß, Blut, Exkrementen«, flüsterte Manuel, nach vorn gebeugt mit dem Kopf auf den Knien. »Und dann gab es diese Nischen für einenallein, Gräber, Hundehütten … die Krämpfe, der Durst … Raus, holt mich hier raus!«
    Blanca und ich nahmen ihn in die Arme und bedeckten ihn mit Küssen, hielten ihn, weinten mit ihm. Wir hatten eine dieser Zellen gesehen. Ich lag dem Museumsführer so lange in den Ohren, bis er mich hineinließ. Auf Knien krabbelte ich durch die Luke, konnte mich drinnen nicht aufrichten, hockte da eingezwängt, konnte meine Haltung nicht verändern, mich nicht rühren, und als die Luke zufiel, saß ich im Dunklen in der Falle. Ich hielt es nicht länger als ein paar Sekunden aus, dann begann ich zu schreien, bis man mich an den Armen wieder herauszog. »Die Gefangenen waren darin bei lebendigem Leib über Wochen begraben, manchmal über Monate. Nur wenige kamen lebend heraus, und die wenigen hatten den Verstand verloren«, hatte uns der Führer gesagt.
    »Jetzt wissen wir, wo du bist, wenn du träumst, Manuel«, sagte Blanca.
    Schließlich holte man Manuel aus seinem Grab, um einen anderen Gefangenen dort einzusperren, wurde es leid, ihn zu foltern, und verlegte ihn in andere Gefangenenlager. Als die Strafe der Verbannung in Chiloé vorüber war, konnte er nach Australien ausreisen, wo seine Frau lebte, die über zwei Jahre nichts von ihm gehört, ihn totgeglaubt und ein neues Leben angefangen hatte, in dem Manuel, traumatisiert, wie er war, keinen Platz fand. Sie ließen sich nach kurzer Zeit scheiden, wie die meisten Paare im Exil. Dennoch hatte Manuel mehr Glück als viele andere Exilanten, denn Australien ist ein gastfreundliches Land; er fand Arbeit in seinem Beruf, konnte zwei Bücher schreiben und betäubte sich unterdessen mit Alkohol und flüchtigen Liebesaffären, die seine abgrundtiefe Einsamkeit nur verschlimmerten. Die Ehe mit seiner zweiten Frau, einer spanischen Tänzerin, die er in Sydney kennenlernte, hielt kein Jahr. Er warunfähig, jemandem zu vertrauen oder sich in einer Liebesbeziehung hinzugeben, erlebte Phasen der Gewalttätigkeit und Panikattacken, saß für immer in seiner Zelle in der Villa Grimaldi in der Falle oder lag nackt, festgebunden auf einem Metallrost, während die Gefängniswärter sich einen Spaß daraus machten, ihn mit Stromschlägen zu quälen.
    Eines Tages fuhr Manuel in Sydney mit dem Auto gegen einen Pfeiler aus Stahlbeton, was sich selbst mit seiner Alkoholmenge im Blut nicht erklären ließ. Im Krankenhaus, wo er dreizehn Tage in Lebensgefahr schwebte und einen Monat das Bett hüten musste, kamen die Ärzte zu dem Schluss, dass es ein Selbstmordversuch gewesen war. Sie stellten für ihn den Kontakt zu einer internationalen Organisation her, die Hilfen für Folteropfer anbot. Ein Psychiater, der Erfahrung mit Fällen wie seinem besaß, besuchte ihn noch im Krankenhaus. Zwar gelang es ihm nicht, bis zu Manuels Traumata vorzudringen, aber er half ihm dabei, die jähen Stimmungsumschwünge, die Gewaltausbrüche und Panikattacken in den Griff zu bekommen, das Trinken aufzugeben und ein scheinbar normales Leben zu führen. Manuel hielt sich selbst für geheilt, maß seinen Albträumen keine größere Bedeutung bei und auch nicht der Urangst, die ihn in Aufzügen oder geschlossenen Räumen befiel, nahm seine Antidepressiva und gewöhnte sich ans Alleinsein.
    Während Manuel uns all das erzählte, war wie immer um diese Zeit auf der Insel der Strom ausgefallen, und keiner war aufgestanden, um Kerzen anzuzünden, wir saßen da zu dritt im Dunkeln, sehr dicht beieinander.
    »Verzeih mir,

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