Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
angebracht, selbst die eines noch unerfahrenen Psychiaters wie Daniel. Blanca meint, was Manuel erlebt hat, müsse mit so viel Vorsicht und Fingerspitzengefühl behandelt werden wie sein Aneurysma, weil es in einer Blase in seiner Erinnerung verkapselt ist, und wenn die jäh aufbricht, kann ihn das umbringen. An besagtem Tag war Manuel nach Castro gefahren, um ein paar Bücher abzuholen, und wir nutzten die Gelegenheit und bereiteten ein Abendessen vor, weil wir wissen, dass er immer bei Sonnenuntergang heimkommt.
Ich backte Brot, was ich gern tue, wenn ich nervös bin. Es beruhigt mich, den Teig kräftig zu kneten, ihn in Form zu bringen, zu warten, dass er unter dem weißen Tuch geht, ihn auszubacken, bis er golden ist, und das Brot dann noch warm meinen Freunden zu servieren. Ein bedächtiges Ritual, das mir heilig ist. Blanca bereitete unterdessen das unfehlbare Huhn mit Senf und Speck nach Frances’ Rezept zu, Manuels neues Lieblingsgericht, und hatte als Nachtisch Maronen in Sirup mitgebracht. Das Haus duftete anheimelnd nach frischem Brot und dem Huhn, das in einem Tontopf leise köchelte. Ein eher kühler Abend, friedlich, mit grauem Himmel und windstill. Bald würde wieder Vollmond sein und ein weiteres Treffen der schönen Frauen in der Ruca stattfinden.
Seit der Operation ist etwas anders zwischen Manuel und Blanca, ihre Aura strahlt, würde meine Großmutter sagen, sie sind umgeben vom flirrenden Licht der frisch Erleuchteten. Es gibt auch ein paar weniger verborgene Zeichen, etwa dass sie sich verschwörerisch ansehen, einander ständig berühren müssen, die Absichten und Wünsche des anderen vorausahnen. Was mich einerseits freut, schließlich tue ich dafür seit Monaten, was ich kann, andererseits mache ich mir Sorgen um meine Zukunft. Was wird aus mir, wenn die beiden endlich doch in diese Liebe eintauchen, die sie so viele Jahre aufgeschoben haben? Manuels Haus ist zu klein für drei, und auch bei Blanca wäre es eng. Ich hoffe bloß, bis dahin ist meine Zukunft mit Daniel geklärt.
Manuel brachte eine Tasche voller Fachbücher nach Hause, die er bei seinen Buchhändlerfreunden bestellt hatte, und einige englischsprachige Romane, die meine Nini postlagernd nach Castro geschickt hatte.
»Feiert jemand Geburtstag?«, fragte er und schnüffelte in der Luft.
»Wir feiern die Freundschaft. Wie dein Zuhause sich verändert hat, seit die Gringuita hier ist!«, sagte Blanca.
»Du meinst die Unordnung?«
»Ich meine die Blumen, das gute Essen und die Gesellschaft, Manuel. Sei nicht undankbar. Sie wird dir sehr fehlen, wenn sie weggeht.«
»Hat sie etwa vor zu gehen?«
»Nein, Manuel. Ich habe vor, Daniel zu heiraten und hierbei dir mit den vier Kindern zu leben, die wir haben werden«, sagte ich lachend.
»Ich hoffe, dein Liebster ist damit einverstanden«, sagte er ebenfalls lachend.
»Warum nicht? Daran gibt’s nichts auszusetzen.«
»Ihr würdet euch totlangweilen auf diesem felsigen Eiland, Maya. Von auswärts kommt nur, wer genug hat von der Welt. Niemand zieht sich hierher zurück, bevor er überhaupt angefangen hat zu leben.«
»Ich bin hergekommen, um mich zu verstecken, und schau, was ich alles gefunden habe, euch beide und Daniel, Geborgenheit, Natur und ein Dorf mit dreihundert Chiloten, die man mögen kann. Sogar meinem Pop geht es gut hier, er spaziert oben über den Hügel.«
»Du hast getrunken!« Manuel sah mich aufgeschreckt an.
»Nein, keinen Schluck, Manuel. Ich wusste, du würdest mir nicht glauben, deshalb hatte ich dir nichts davon erzählt.«
Es war ein außergewöhnlicher Abend, an dem alles zu Vertraulichkeiten einlud, das Brot und das Huhn, der Mond, der durch die Wolken lugte, die erwiesene Zuneigung, die wir für einander empfinden, die Unterhaltung, die gespickt war mit unbeschwerten Anekdoten und Neckereien. Die beiden erzählten mir, wie sie sich kennengelernt und welchen Eindruck sie damals voneinander gehabt hatten. Manuel sagte, als junges Mädchen sei Blanca umwerfend schön gewesen, was sie immer noch ist, eine strahlende Walküre, einzig Beine, Haar und Lächeln, selbstsicher und fröhlich wie jemand, der sehr verwöhnt aufgewachsen ist. »Ich hätte sie hassen müssen für ihr privilegiertes Dasein, aber ihre Freundlichkeit war entwaffnend, man musste sie einfach lieben. Bloß war ich damals nicht in der Verfassung, jemanden zu erobern, schon gar nicht eine derart unerreichbare Frau.« Für Blanca besaß Manuel den Reiz des Verbotenen und Gefährlichen,
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