Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
plötzlich war er ein Unbekannter, und dass meine Nini eine Affäre mit ihm gehabt hatte, widerte mich an.
»Herrgott, Manuel, wieso hast du mir das nicht erzählt? Das ist ja besser als die Soap im Fernsehen«, bemerkte Blanca mit einem Seufzen.
Das brach den Bann. Wir sahen uns im gelben Schein der Kerze an, lächelten schüchtern und lachten dann, erst zögerlich und bald lauthals, darüber, wie absurd und belanglos das war, denn wenn man nicht gerade ein Spenderorgan braucht oder ein Vermögen erbt, ist es doch einerlei, wer die biologischen Vorfahren sind, es zählt bloß die Zuneigung, die wir zum Glück füreinander empfinden.
»Mein Pop ist mein Großvater«, sagte ich noch einmal.
»Das bezweifelt niemand, Maya«, sagte Manuel.
Durch die Mails, die meine Nini über Mike O’Kellys Adresse an Manuel schickt, habe ich erfahren, dass Freddy bewusstlos in Las Vegas auf der Straße gefunden wurde. Ein Rettungswagen brachte ihn in das Krankenhaus, wo er zuvor schon gewesen war und wo Olympia Pettiford arbeitete, eine glückliche Fügung, wie sie von den Witwen für Jesus der Macht des Gebets zugeschrieben wird. Der Junge lag auf der Intensivstation, wurde mit Hilfe eines lärmenden Apparats über einen Schlauch künstlich beatmet, und die Ärzte rangen darum, eine zweiseitige Lungenentzündungin den Griff zu bekommen, wegen der er fast im Krematorium gelandet wäre. Danach mussten sie ihm die Niere entfernen, die geschädigt gewesen war, seit man ihn zusammengeschlagen hatte, und die vielfältigen Leiden behandeln, die sein Lebenswandel angerichtet hatte. Schließlich wurde er auf die Station von Olympia Pettiford verlegt. Die hatte unterdessen die rettenden Kräfte des Herrn Jesu und ihre eigenen mobilisiert, um zu verhindern, dass der Junge der Kinderschutzbehörde oder dem Gesetz in die Hände fiel.
Bis Freddy aus dem Krankenhaus entlassen werden konnte, hatte Olympia Pettiford die juristische Erlaubnis erwirkt, sich seiner anzunehmen, wobei sie eine angebliche Verwandtschaft ins Feld führte, die den Jungen vor Jugendheim oder Gefängnis bewahrte. Offenbar hat Officer Arana ihr dabei geholfen. Als der hörte, im Krankenhaus sei ein Junge eingeliefert worden, dessen Beschreibung auf Freddy passte, ging er außerhalb seiner Dienstzeit hin, um nach ihm zu sehen. Er fand die Tür zum Krankenzimmer von der voluminösen Olympia versperrt, die jeden Besuch unterbinden wollte, weil der Junge noch unschlüssig im Niemandsland zwischen Leben und Tod umherirrte.
Die Krankenschwester fürchtete, Arana wolle ihren Schützling ins Gefängnis bringen, aber der Officer überzeugte sie, dass er nur hoffte, etwas über eine Freundin, eine gewisse Laura Barron, zu erfahren. Er wolle dem Jungen gern helfen, und da sie dieses Anliegen teilten, lud Olympia ihn zu einem Saft in die Cafeteria ein, und die beiden unterhielten sich. Sie erzählte ihm, Ende letzten Jahres habe Freddy eine Laura Barron krank und drogenabhängig zu ihr gebracht und sei danach wie vom Erdboden verschluckt gewesen. Sie habe nichts von ihm gehört, bis man ihn mit nur einer Niere von der Chirurgie auf ihre Station verlegte. Über Laura Barron wisse sie lediglich, dass die einige Tage bei ihr geblieben war, und sobald sie sich etwas erholt hatte,waren ihre Verwandten gekommen, hatten sie mitgenommen und wahrscheinlich in ein Entzugsprogramm gesteckt, wie sie es ihnen geraten hatte. Wohin, das wisse sie nicht, und die Telefonnummer der Großmutter, die sie für das Mädchen angerufen hatte, habe sie längst nicht mehr. Freddy müsse man in Ruhe lassen, sagte sie zu Arana in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, der könne ihm über Laura Barron sowieso nichts sagen.
Als Freddy klapprig wie eine Vogelscheuche aus dem Krankenhaus entlassen wurde, nahm Olympia Pettiford ihn mit nach Hause und gab ihn in die Obhut des furchteinflößenden Kommandos der Witwen für Jesus. Der Junge war inzwischen seit zwei Monaten clean, und seine Lebensgeister reichten gerade, um fernzusehen. Durch die Frittierfett-Diät der Witwen kam er wieder zu Kräften, und als Olympia fürchten musste, er werde abhauen und in die Hölle der Abhängigkeit zurückkehren, erinnerte sie sich an den Mann im Rollstuhl, dessen Visitenkarte zwischen den Seiten ihrer Bibel steckte, und rief ihn an. Sie hob ihr Erspartes von der Bank ab, kaufte die Tickets, und mit einer zweiten Frau als Verstärkung brachte sie Freddy nach Kalifornien. Meine Nini schrieb, sie seien in ihren
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