Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Mayas Tagebuch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
Vom Netzwerk:
er kam aus einer Welt, dieihrer entgegengesetzt war, aus einem anderen gesellschaftlichen Milieu, und verkörperte den politischen Gegner, doch als Gast ihrer Familie nahm sie ihn bereitwillig auf. Ich erzählte den beiden von meinem Zuhause in Berkeley, davon, warum ich wie eine Skandinavierin aussehe und von der einzigen Begegnung mit meiner Mutter. Außerdem von ein paar Leuten, die ich in Las Vegas kennengelernt hatte, von einer Frau, die hundertachtzig Kilo wog und sich mit ihrer streichelzarten Stimme den Lebensunterhalt mit Telefonsex verdiente, und von dem transsexuellen Pärchen, Freunden von Brandon Leeman, die sich in einer förmlichen Zeremonie das Jawort gaben, sie im Smoking, er im Brautkleid aus weißem Organza. Wir aßen gemächlich und setzten uns dann wie sonst ans Fenster, um in die Nacht zu schauen, die beiden mit ihrem Glas Wein, ich mit einem Tee. Blanca saß dicht neben Manuel auf dem Sofa, und ich auf einem Kissen am Boden bei Fákin, der an Verlustangst leidet, seit wir ohne ihn in Santiago waren. Er folgt mir mit dem Blick und weicht mir nicht von der Seite, eine echte Klette.
    »Ich werde das Gefühl nicht los, dass ihr mit diesem kleinen Fest etwas im Schilde führt«, grummelte Manuel. »Seit Tagen liegt hier was in der Luft. Kommt zur Sache, ihr beiden.«
    »Du machst unsere Strategie zunichte, Manuel, wir dachten, wir bringen das Thema diplomatisch zur Sprache«, sagte Blanca.
    »Was wollt ihr?«
    »Nichts, nur reden.«
    »Worüber?«
    Und da erzählte ich ihm dann, dass ich seit Monaten auf eigene Faust nachforschte, was ihm nach dem Militärputsch widerfahren war, weil ich glaubte, dass seine Erinnerungen tief in ihm schwärten wie eine böse Geschwulst und ihn vergifteten. Ich bat ihn, mir meine Einmischung zu verzeihen, ich hätte das nur getan, weil ich ihn so sehr lieb hätte; es tue mir weh, wie er sich nachts quäle, wenn die Albträume ihn heimsuchten. Ich sagte ihm, der Felsbrocken auf seinen Schultern sei zu schwer für ihn, er werde erdrückt davon, lebe wie im Wartestand, als müsse er die Zeit absitzen bis zu seinem Tod. Er habe sich so sehr verschlossen, könne weder Freude noch Liebe empfinden. Ich sagte auch, dass Blanca und ich ihm helfen könnten, den Stein zu tragen. Manuel unterbrach mich nicht, er war sehr bleich, schnaufte wie ein müder Hund, hielt mit geschlossenen Augen Blancas Hand. »Willst du hören, was die Gringuita herausgefunden hat, Manuel?«, fragte Blanca sehr leise, und er nickte stumm.
    Ich gestand ihm, dass ich in Santiago, während er sich von seiner Operation erholte, die Unterlagen der Vicaría durchgesehen und mit den Leuten gesprochen hatte, die Pater Lyon mir genannt hatte, zwei Anwälte, ein Priester und einer der Autoren des Rettig-Berichts, der über dreitausendfünfhundert Anzeigen wegen Menschenrechtsverletzungen während der Diktatur enthält. Darunter den Fall von Felipe Vidal, dem ersten Mann meiner Nini, und den von Manuel Arias.
    »Ich habe an dem Bericht nicht mitgewirkt.« Manuels Stimme klang brüchig.
    »Pater Lyon hat deinen Fall zur Anzeige gebracht. Ihm hast du im Einzelnen berichtet, was dir in den vierzehn Monaten Gefangenschaft passiert ist, Manuel. Du warst gerade aus dem Lager Tres Álamos entlassen und hierher nach Chiloé verbannt worden. Wie Pater Lyon auch.«
    »Daran erinnere ich mich nicht.«
    »Der Pater erinnert sich, konnte es mir aber nicht erzählen, weil er meint, das falle unter seine Schweigepflicht, deshalb hat er mir nur den Weg gewiesen. Der Fall von Felipe Vidal wurde von seiner Frau angezeigt, von meiner Nini, ehe sie ins Exil ging.«
    Ich berichtete Manuel, was ich in dieser einschneidenden Woche in Santiago und bei meinem Besuch mit Blanca in der Villa Grimaldi in Erfahrung gebracht hatte. Die Erwähnung dieses Ortes rief bei Manuel keine besondere Reaktion hervor, er besaß eine vage Vorstellung, dass er dort gewesen war, aber die Bilder überlagerten sich in seiner Erinnerung mit denen aus anderen Gefängnissen. In den mehr als dreißig Jahren, die seither vergangen sind, hat er das Erlebte aus seinem Gedächtnis gelöscht, er erinnert sich daran wie an etwas, worüber er gelesen hat, nicht als etwas, das ihm selbst widerfahren ist, obwohl er Brandnarben am Körper trägt und die Arme nicht über Schulterhöhe anheben kann, weil ihm die Schultergelenke ausgekugelt wurden.
    »Ich will die Einzelheiten nicht wissen«, sagte er.
    Blanca erklärte ihm, diese Einzelheiten seien irgendwo in seinem Innern

Weitere Kostenlose Bücher