Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
aller im Jahr 2008 vermisst gemeldeten Mädchen aufgerufen. Dass ich schon in den Jahren zuvor abgehauen sein könnte, hielt er für wenig wahrscheinlich, denn als er mich zum ersten Mal sah, wirkte ich nicht, als hätte ich schon lange auf der Straße gelebt; die jugendlichen Landstreicher bekommen im Handumdrehen etwas unverkennbar Verwahrlostes. Es standen Dutzende Mädchen auf der Liste, aber er beschränkte sich auf die zwischen fünfzehn und fünfundzwanzig, die in Nevada und angrenzenden Staaten verschwunden waren. In den meisten Fällen gab es Fotos, allerdings waren einige davon schon etwas älter. Er hatte ein gutes Auge für Physiognomie und konnte die Liste auf nur vier Mädchen einschränken, von denen einsseine Aufmerksamkeit besonders auf sich zog, weil die Vermisstenanzeige aus der Zeit stammte, als er der angeblichen Nichte von Brandon Leeman zum ersten Mal begegnet war, Juni 2008. Nachdem er sich das Foto genauer angesehen und die verfügbaren Informationen gelesen hatte, war ihm klar, dass er diese Maya Vidal suchte, er kannte also meinen richtigen Namen, meine Polizeiakte, die Adresse des Internats in Oregon und die meiner Familie in Kalifornien.
Anders als von mir angenommen, hatte mein Vater mich tatsächlich monatelang gesucht und meine Beschreibung an sämtliche Polizeistationen und Krankenhäuser des Landes gegeben. Arana rief im Internat an und fragte Angie nach einigen fehlenden Einzelheiten, machte sich dann zu der Adresse auf, wo mein Vater früher gewohnt hatte, und bekam dort von den jetzigen Bewohnern die Anschrift der bunten Villa meiner Großeltern. »Zum Glück haben sie mir und nicht einem anderen den Fall übertragen, ich bin überzeugt, dass Laura, also Maya, ein gutes Mädchen ist, und will ihr helfen, ehe die Lage für sie unnötig schwierig wird. Bestimmt lässt sich beweisen, dass sie bei dem Verbrechen keine große Rolle gespielt hat«, erklärte der Officer am Ende.
Weil Arana so umgänglich auftrat, lud meine Nini ihn ein mitzuessen, und mein Vater öffnete eine Flasche seines besten Weines. Der Polizist fand, die Suppe eigne sich hervorragend für einen nebelverhangenen Novemberabend wie diesen, ob es sich etwa um ein typisches Gericht aus der Heimat von Frau Vidal handele? Er hatte ihren Akzent bemerkt. Mein Vater sagte, das Rezept für die Hühnersuppe stamme aus Chile und ebenso der Wein und er und seine Mutter seien dort geboren. Auf die Frage des Officers, ob sie häufig hinführen, erklärte er, sie seien schon über dreißig Jahre nicht mehr dort gewesen. Meine Nini hatte sehr genau auf jedes Wort des Polizisten gehört und trat meinem Vater unterm Tisch ans Bein, weil er zu viel redete. Je weniger Arana über die Familie wusste, desto besser. In dem, was der Officer gesagt hatte, witterte sie eine Unwahrheit, und das hatte sie aufhorchen lassen. Wie konnte der Fall so gut wie abgeschlossen sein, wenn man weder die gefälschten Scheine noch die Platten gefunden hatte? Auch sie hat diese Zeitschriftenreportage über Adam Trevor gelesen, sie recherchiert seit Monaten über den internationalen Handel mit Falschgeld, hält sich für eine Expertin und kennt den wirtschaftlichen und strategischen Wert dieser Druckplatten.
Sie arbeite selbstverständlich gern mit der Polizei zusammen, versicherte meine Nini und fütterte Arana mit Informationen, die er sich leicht selbst besorgen konnte. Sie sagte ihm, nachdem ihre Enkelin im Juni letzten Jahres aus dem Internat in Oregon abgehauen sei, hätten sie vergeblich nach ihr gesucht, bis der Anruf einer Kirchengemeinde aus Las Vegas kam und sie hinfuhr, um Maya abzuholen, denn Mayas Vater sei Pilot und gerade unterwegs gewesen. Maya habe schrecklich ausgesehen, nicht wiederzuerkennen, es sei hart gewesen, ihre Kleine so zu erleben, früher hübsch, sportlich und klug, jetzt eine Drogenabhängige. An diesem Punkt ihres Berichts rang meine Großmutter bei jedem Wort mit den Tränen. Mein Vater ergänzte, danach hätten sie seine Tochter in San Francisco in eine Entzugsklinik gebracht, aber wenige Tage vor Ende des Programms sei sie erneut abgehauen, und sie hätten keine Ahnung, wohin. Maya sei mittlerweile zwanzig, sie könnten sie nicht daran hindern, ihr Leben zu zerstören, wenn es das sei, was sie wolle.
Ich werde nie erfahren, was von alldem Officer Arana ihnen glaubte. »Ich muss Maya unbedingt finden und zwar schnell. Da sind welche hinter ihr her, mit denen nicht zu spaßen ist«, sagte er und ließ noch beiläufig
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