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Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Mayas Tagebuch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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es, Odense sei eine reizende Stadtauf der schönen Insel Fünen, mitten im Herzen von Dänemark, wo einst die Wiege des berühmten Dichters Hans Christian Andersen stand, dessen Bücher in meinem Regal einen prominenten Platz neben der Astronomie für Anfänger einnahmen, weil sie unter dem Buchstaben A einsortiert waren. Das hatte für einigen Diskussionsstoff gesorgt, denn mein Pop bestand auf alphabetischer Ordnung, während meine Nini aufgrund ihrer Arbeit in der Bibliothek von Berkeley die Meinung vertrat, Bücher gehörten nach Themen sortiert. Ich sollte nie erfahren, ob die Insel Fünen so lieblich ist, wie im Reiseführer behauptet, weil wir nichts von ihr sahen. Marta Otter wohnte in einer Siedlung, in der alle Häuser gleich waren und einen Rasenfleck als Vorgarten hatten, und ihr Haus war an der auf einem Stein sitzenden Meerjungfrau aus Gips zu erkennen, wie ich eine in klein in einer Glaskugel besaß. Sie öffnete uns die Tür mit überraschtem Gesicht, als sei ihr entfallen, dass meine Nini ihr Monate zuvor geschrieben hatte, um unseren Besuch anzukündigen, es noch einmal getan hatte, ehe wir aus Kalifornien abgereist waren, und sie am Tag zuvor aus Kopenhagen angerufen hatte. Zur Begrüßung gab sie uns steif die Hand, bat uns herein und stellte uns ihre Söhne vor, Hans und Vilhelm, der eine vier, der andere zwei Jahre alt und beide so weiß, dass sie im Dunkeln leuchteten.
    Das Haus sah innen aus wie geleckt, unpersönlich und deprimierend, derselbe Stil wie in unserem Hotelzimmer in Kopenhagen, wo wir uns nicht hatten duschen können, weil wir im Bad, das ausschließlich aus glatten, weißen Marmorflächen bestand, die Armaturen nicht fanden. Das Essen im Hotel war ebenso karg gewesen wie die Dekoration, und meine Nini, die sich betrogen fühlte, forderte einen Preisnachlass. »Sie verlangen ein Vermögen, und hier gibt’s nicht mal Stühle!«, beschwerte sie sich an der Rezeption, einem langen Tresen aus Edelstahl, wo zur floralen Auflockerung eine einzelne Artischockenblüte aus einem Glasrohr ragte.Der einzige Schmuck in Marta Otters Wohnzimmer war die Reproduktion eines ziemlich guten Gemäldes von Königin Margrethe; wäre Margrethe nicht Königin, könnte sie als Künstlerin Furore machen.
    Wir setzten uns auf ein unbequemes Sofa aus grauem Plastik, mein Pop stellte meinen Koffer, der riesenhaft wirkte, neben seine Füße, und meine Nini hielt mich am Arm fest, damit ich nicht das Weite suchte. Ich hatten den beiden jahrelang damit in den Ohren gelegen, dass ich meine Mutter kennenlernen wollte, aber in diesem Moment hätte ich am liebsten die Beine in die Hand genommen, so entsetzlich war die Vorstellung, zwei Wochen bei dieser Unbekannten und den beiden Albinokaninchen zu verbringen, die meine kleinen Brüder waren. Als Marta Otter zum Kaffeekochen in die Küche ging, flüsterte ich meinem Pop zu, wenn sie mich in diesem Haus ließen, würde ich mich umbringen. Er gab das leise und wortgetreu an seine Frau weiter, und im Handumdrehen kamen beide überein, dass diese Reise ein Fehler gewesen war; ihre Enkelin hätte besser bis ans Ende ihrer Tage an das Märchen von der Prinzessin aus Lappland geglaubt.
    Marta Otter kam mit Kaffee in Tassen zurück, die zu klein für einen Henkel waren, und das ritualisierte Herumreichen von Zucker und Kaffeesahne linderte die Anspannung etwas. Meine schneeweißen Brüder setzten sich vor den Fernseher und sahen, sehr wohlerzogen, einen Tierfilm ohne Ton, um nicht zu stören, und die Erwachsenen begannen, über mich zu sprechen, als wäre ich tot. Meine Großmutter zog das Fotoalbum der Familie aus ihrer Tasche und erklärte die Bilder eins nach dem anderen: Maya nackt im Alter von zwei Wochen in einer einzigen großen Hand von Paul Ditson II, Maya mit drei als Hawaii-Mädchen verkleidet mit Ukulele, Maya mit sieben beim Fußball. Unterdessen betrachtete ich übertrieben aufmerksam die Schnürsenkel meiner neuen Schuhe. Marta Otter bemerkte, ich säheHans und Vilhelm sehr ähnlich, obwohl unsere einzige Gemeinsamkeit darin bestand, dass wir auf zwei Beinen gingen. Wahrscheinlich war meine Mutter insgeheim erleichtert, dass man mir die lateinamerikanischen Gene meines Vaters nicht ansah und ich notfalls als Skandinavierin hätte gelten können.
    Nach vierzig Minuten, die so lang waren wie vierzig Stunden, bat mein Großvater um das Telefon, bestellte ein Taxi, und kurz darauf verabschiedeten wir uns, ohne einen Ton über den Koffer zu verlieren, der in

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