Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Mayas Tagebuch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
Vom Netzwerk:
versuchte planlos, im Gewirr der Autobahnen einen Weg zum Flughafen zu finden.
    Wir kamen gerade noch rechtzeitig und verabschiedeten uns ohne rührseliges Tamtam; ich habe dieses letzte Bild von ihr vor Augen: ihr VW, der sich röhrend im Regen verliert.
    Ich flog einige Stunden nach Dallas, wurde von einer dicken, nach gerösteten Erdnüssen riechenden Frau ans Fenster gedrückt und saß danach noch einmal zehn Stunden in einer anderen Maschine nach Santiago, wach und hungrig, hing meinen Erinnerungen und Gedanken nach und las in dem Buch über Chiloé, das die Lieblichkeit der Landschaft, die Holzkirchen und das ländliche Leben pries. Mir ging der Arsch auf Grundeis. Der 2. Januar 2009 brach an, ein orangefarbener Himmel über den violetten Gipfeln der unverrückbaren, ewigen, gewaltigen Anden, und der Pilot sagte etwas von Landung. Wenig später tauchte eine grüne Ebene auf, Baumreihen, Äcker und in der Ferne Santiago, wo meine Großmutter und mein Vater geboren sind und ein Teil meiner Familiengeschichte im Verborgenen liegt.
    Ich weiß sehr wenig über die Vergangenheit meiner Großmutter, sie erwähnte sie kaum, ganz als hätte ihr Leben erst begonnen, als sie meinen Pop kennenlernte. Ihr erster Mann, Felipe Vidal, starb 1974 in Chile, einige Monate nachdem das Militär gegen die sozialistische Regierung von Salvador Allende geputscht und im Land eine Diktatur errichtet hatte. Die junge Witwe wollte unter der Militärherrschaft nicht leben und wanderte mit ihrem Sohn Andrés, meinem Vater, nach Kanada aus. Der konnte mir zu der Geschichte wenig sagen, weil er sich nicht gut an seine Kindheit erinnert, vergöttert aber noch heute seinen Vater, von dem nur drei Fotos erhalten sind. »Wir gehen nie mehr zurück, oder?«, hat Andrés im Flugzeug nach Kanada gesagt. Es war keine Frage, sondern ein Vorwurf. Er war neun Jahre alt, in den letzten Monaten schlagartig reifer geworden, und er verlangte nach Erklärungen, weil er spürte, dass seine Mutter ihn mit Halbwahrheiten und Lügen in Sicherheit zu wiegen versuchte. Dass sein Vater einem plötzlichen Herzanfall erlegen sei, hatte er mit Fassung aufgenommen, ebenso die Behauptung, man habe den Toten schnell beigesetzt, weshalb er ihn auch nicht sehen und sich nicht von ihm verabschieden konnte. Wenig später fand er sich in diesem Flugzeug nach Kanada wieder. »Natürlich gehen wir zurück, Andrés«, versicherte ihm seine Mutter, aber er glaubte ihr nicht.
    In Toronto nahmen sich ehrenamtliche Mitarbeiter vom Flüchtlingskomitee ihrer an, statteten sie mit passender Kleidung aus und übergaben ihnen die Schlüssel zu einer möblierten Wohnung mit gemachten Betten und gefülltem Kühlschrank. In den ersten drei Tagen gingen Mutter und Sohn nicht vor die Tür, lebten von den Vorräten und bibberten in ihrer Einsamkeit, aber am vierten Tag kam eine Frau vom Sozialdienst, die gut Spanisch sprach und ihnen erklärte, welche Sozialleistungen und Rechte sie als Einwohner Kanadas in Anspruch nehmen konnten. Zunächst sollten beide einen Englisch-Intensivkurs besuchen, und der Junge wurde in der Schule angemeldet; später nahm Nidia dann eine Stelle als Fahrerin an, weil sie es demütigend fand, von staatlicher Unterstützung zu leben, obwohl sie arbeiten konnte. Der Job war so ziemlich das Letzte, wofür sie sich eignete, sie ist noch heute eine miserable Fahrerin, ganz zu schweigen von damals.
    Auf den kurzen kanadischen Herbst folgte ein bitterkalter Winter, für Andrés, der jetzt Andy hieß, der siebte Himmel, weil er Spaß am Eislaufen und Skifahren fand, aber für Nidia unerträglich, denn sie fror unentwegt und kam über den Verlust ihres Mannes und ihrer Heimat nicht hinweg. Ihre Stimmung besserte sich auch nicht mit dem ersten zaghaften Frühlingshauch und nicht, als über Nacht wie hingezaubert überall Blüten hervorbrachen, wo noch am Tag zuvor eine Schneeschicht gewesen war. Sie fühlte sich entwurzelt und saß auf gepackten Koffern, wollte nach Chile zurück, sobald die Diktatur gestürzt wäre, und machte sich keine Vorstellung, dass bis dahin sechzehn Jahre ins Land gehen würden.

    Nidia Vidal verbrachte ihre ersten zwei Jahre in Toronto damit, Tage und Stunden zu zählen, aber dann begegnete sie Paul Ditson II, meinem Pop, Professor an der University of Berkeley und nach Toronto gekommen, um eine Reihe von Vorträgen über einen scheuen Planeten zu halten, dessen Existenz er mit poetischen Berechnungen und phantastischen Gedankensprüngen zu beweisen

Weitere Kostenlose Bücher