Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
versuchte. Mein Pop war einer der wenigen Afroamerikaner in der astronomischen Forschung, die ansonsten fest in weißer Hand ist, hatte sich auf seinem Gebiet einen Namen gemacht und etliche Bücher geschrieben. Als junger Mann hatte er ein Jahr die Megalithe am Turkana-See in Kenia erforscht und aufgrund seiner archäologischen Erkenntnisse die These entwickelt, dass es sich bei diesen Basaltsäulen um frühe Anlagen zur Himmelsbeobachtung handelte und man mit ihrer Hilfe dreihundert Jahre vor Christus den Borana-Mondkalender entwickelt hatte, den die Hirten in Äthiopien und Kenia noch heute benutzen. In Afrika lernte er, den Himmel völlig unvoreingenommen anzuschauen, und hier kam ihm auch der Verdacht, es könne diesen unsichtbaren Planeten geben, nach dem er später vergeblich mit den stärksten Teleskopen der Erde suchte.
Die Universität von Toronto brachte ihn in einem Gästehaus unter und buchte ihm über eine Agentur ein Auto mit Fahrer; so kam es, dass Nidia Vidal ihn während seines Aufenthalts begleitete. Als er hörte, seine Fahrerin stamme aus Chile, erzählte er ihr von seinem Forschungsaufenthalt an der chilenischen Sternwarte La Silla, wo wegen der klaren Nächte und der trockenen Luft die Bedingungen zur Himmelsbeobachtung oft ideal sind und man Sternbilder und Galaxien betrachten kann, die auf der Nordhalbkugel nicht zu sehen sind, wie etwa die kleine und die große Magellanische Wolke. Hier habe man auch entdeckt, dass die Anordnung der Galaxien aussieht wie ein gewaltiges Spinnennetz.
Durch einen romanhaft anmutenden Zufall endete seinBesuch in Chile am selben Tag des Jahres 1974, an dem Nidia mit ihrem Sohn nach Kanada aufbrach. Ich stelle mir vor, wie sie zur selben Zeit am Flughafen auf ihren jeweiligen Flug gewartet haben, auch wenn sie selbst behaupten, das sei ausgeschlossen, weil meinem Pop diese schöne Frau sicher aufgefallen wäre und sie ihn ebenfalls gesehen hätte, denn ein Schwarzer erregte damals in Chile Aufsehen, zumal wenn er so stattlich und gutaussehend war wie mein Pop.
Nidia genügte eine vormittägliche Fahrt durch Toronto mit ihrem Passagier im Fond, um zu wissen, dass es sich bei diesem Mann um eine seltene Mischung aus brillantem Denker und phantasievollem Träumer handelte, dem allerdings jeglicher Sinn für das Praktische fehlte, den sie sich zugutehielt. Meine Nini hat mir nie erklären können, wie sie am Steuer und im dicksten Verkehrsgewühl zu diesem Schluss gelangte, traf damit den Nagel aber auf den Kopf. Der Astronom war in der Welt so verloren wie der Planet, nach dem er den Himmel absuchte; er konnte im Handumdrehen ausrechnen, wie lang ein Raumschiff bis zum Mond braucht, wenn es 28.286 Kilometer in der Stunde zurücklegt, stand aber vor einer elektrischen Kaffeemaschine wie der Ochs vorm Berg. Sie hatte den Flügelschlag der Liebe seit Jahren nicht gespürt, doch weckte dieser Mann, der so anders war als alle, denen sie in ihren dreiunddreißig Jahren begegnet war, ihre Neugier und zog sie an.
Mein Pop war zwar über ihren tollkühnen Fahrstil erschrocken, aber ebenfalls neugierig und fragte sich, wie die Frau wohl ohne die zu große Uniform und die Bärentöterkappe aussehen mochte. Er war kein Mann, der jedem Gefühl gleich nachgibt, und sollte er mit dem Gedanken gespielt haben, Nidia zu verführen, dann verwarf er ihn jedenfalls als zu umständlich. Meine Nini hingegen hatte nichts zu verlieren und beschloss, dass sie dem Astronomen entgegenkommen würde, ehe dessen Vortragsreihe zu Endewar. Sie mochte seine auffällige Mahagonifarbe – sie wollte ihn von Kopf bis Fuß sehen – und spürte, dass sie viel gemeinsam hatten: Er die Astronomie und sie die Astrologie, was nach ihrem Dafürhalten auf dasselbe hinauslief. In ihren Augen waren sie beide von weit her gekommen, um einander an diesem Punkt auf dem Erdball und auf ihrem Lebensweg zu begegnen, weil die Sterne das so für sie bestimmt hatten. Schon damals war meine Nini süchtig nach Horoskopen, überließ jedoch nicht alles dem Wirken der Gestirne. Ehe sie ihren Überraschungsangriff startete, fand sie heraus, dass der Mann unverheiratet war, wirtschaftlich unabhängig, gesund und auch nur elf Jahre älter als sie, obwohl man die beiden, hätten sie dieselbe Hautfarbe gehabt, auf den ersten Blick für Vater und Tochter hätte halten können. Jahre später sollte mein Pop mir lachend erzählen, wenn sie ihn nicht auf Anhieb k.o. geschlagen hätte, wäre er noch immer nur in die Sterne
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