Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
mir den Ort an und ging in ein Museum, in dem die Holzkirchen von Chiloé erklärt werden, die vor dreihundert Jahren von jesuitischen Missionaren entworfen und von den Chiloten, meisterhaften Zimmerleuten und Schiffsbauern, Brett für Brett errichtet worden waren. Die Kirchen sind ohne einen Nagel gebaut, mit einem findigen System vom Verzapfungen, und die Deckengewölbe sind umgedrehte Schiffe. Am Ausgang des Museums traf ich den Hund. Er war mittelgroß, hinkte, hatte drahtiges, grauschattiertes Fell und einen erbärmlich struppigen Schwanz, tat aber würdevoll wie ein Tier von astreiner Abstammung. Ich bot ihm die Empanada an, die ich noch im Rucksack hatte, er nahm sie behutsam zwischen seine großen gelben Zähne, legte sie auf den Boden und sah mich an, womit er mir deutlich zu verstehen gab, dass es ihn nicht nach Brot, sondern nach Gesellschaft hungerte. Meine Stiefmutter Susan hat Hunde ausgebildet und mir beigebracht, dass man ein Tier nicht anfassen soll, ehe es sich nähert und damit zeigt, dass es sich nicht fürchtet, aber wir verzichteten auf das protokollarische Vorgeplänkel, weil wir uns auf Anhieb gut verstanden. Wir gingen zusammen auf Besichtigungstour, und zur vereinbarten Uhrzeit kehrte ich zu den Strickerinnen zurück. Der Hund blieb draußen vorm Laden, mit einer Pfote auf der Türschwelle. Sehr artig.
Der Cousin tauchte erst eine Stunde später als verabredet auf, mit seiner Frau und einem Säugling in einem bis obenhin vollgestopften Minibus. Ich bedankte mich beimeinen Wohltäterinnen, die mir auch ihr Handy geliehen hatten, damit ich mich mit Manuel Arias in Verbindung setzen konnte, und sagte dem Hund Lebewohl, der aber hatte anderes im Sinn. Er setzte sich vor meine Füße, fegte mit dem Schwanz über den Boden und grinste mich an wie eine Hyäne; er war so freundlich gewesen, mir seine Aufmerksamkeit zu schenken, und jetzt durfte ich mich glücklich schätzen, sein Mensch zu sein. Ich änderte die Taktik. »Shoo! Shoo! Fucking dog!«, schrie ich ihn an. Er rührte sich nicht, der Cousin sah mir eine Weile mitfühlend zu und meinte dann: »Keine Sorge, Señorita. Wir kriegen Ihren Fákin schon unter.« So kam das aschgraue Tier zu seinem neuen Namen, auch wenn es in einem früheren Leben vielleicht »Prinz« geheißen hat. Wir zwängten uns mühsam in das bepackte Gefährt und erreichten eine Stunde später das Dorf, wo ich den Freund meiner Großmutter treffen sollte, mit dem ich vor der Kirche verabredet war, direkt am Meer.
Das Dorf wurde 1567 von den Spaniern gegründet, es gehört zu den ältesten des Archipels und hat etwa zweitausend Einwohner, ich weiß aber nicht, wo die steckten, man sah jedenfalls mehr Hühner und Schafe als Menschen. Ich wartete lange auf Manuel, saß zusammen mit Fákin auf den Stufen vor der weiß-blau bemalten Kirche und ließ mich aus einiger Entfernung von vier stummen und ernsten Kindern beobachten. Über Manuel wusste ich bloß, dass er ein Freund meiner Großmutter war, die beiden sich seit den siebziger Jahren nicht mehr gesehen, aber sporadisch Kontakt gehalten, sich erst Briefe, später E-Mails geschrieben hatten.
Manuel Arias tauchte schließlich auf und erkannte mich anhand der Beschreibung, die meine Nini ihm am Telefon gegeben hatte. Was sie wohl gesagt hat? Wahrscheinlich: Bohnenstange, Haare in vier Knallfarben, Ring in der Nase. Er gab mir die Hand und musterte mich mit einem raschenBlick, verharrte kurz bei den Resten von blauem Nagellack auf meinen abgekauten Nägeln, dem Obama-T-Shirt, das meine Nini mir zu Weihnachten geschenkt hat und das mir nur bis zum Bauchnabel geht, den verschlissenen Jeans und den rosa besprühten Militärstiefeln, die ich in einem Laden der Heilsarmee bekommen hatte, als ich auf der Straße lebte.
»Ich bin Manuel Arias«, stellte er sich vor. Er sprach Englisch.
»Hi. Hinter mir sind das FBI, Interpol und eine Verbrecherbande aus Las Vegas her«, sagte ich gleich, um Missverständnissen vorzubeugen.
»Glückwunsch.«
»Ich habe keinen umgebracht und glaube auch eigentlich nicht, dass sie sich die Mühe machen, mich am Arsch der Welt zu suchen.«
»Danke.«
»Entschuldige, nichts gegen dein Land, echt. Eigentlich ja ganz hübsch hier, viel Grün und viel Wasser, aber halt so weit weg!«
»Wovon?«
»Von Kalifornien, der Zivilisation, dem Rest der Welt. Meine Nini hat nichts davon gesagt, dass es hier kalt ist.«
»Es ist Sommer.«
»Sommer im Januar! Wo gibt’s denn so was!«
»Auf der
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