Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
ihren alten Platten auf und hüpfte dazu herum, wollte dann draußen frische Luft schnappen und tanzte dort weiter, während sie ihre Kleider auszog. Zwei Nachbarn sahen, wie sie hinfiel, kamen eilig angelaufen und deckten sie mit einem Handtuch zu. Als sie gerade einen Krankenwagen rufen wollten, kam ich nach Hause, erkannte die Symptome und ließ mir von den Nachbarn dabei helfen, meine Großmutter ins Haus zu schaffen.
Es gelang uns nicht, sie hochzuheben, sie wog plötzlich Tonnen, also zerrten wir sie aufs Sofa im Wohnzimmer. Dabei erklärte ich den beiden guten Samaritern, das sei alles halb so wild, meine Großmutter bekomme regelmäßig solche Anfälle und die würden von selber weggehen. Freundlich schob ich sie dann zur Tür hinaus, rannte den Kaffee vom Frühstück aufwärmen und holte eine Wolldecke, denn meine Nini zitterte wie Espenlaub. Im nächsten Moment schien sie zu glühen. In den kommenden dreiStunden packte sich sie abwechselnd in die Wolldecke und in kalte Umschläge, bis sich ihre Körpertemperatur stabilisiert hatte.
Es wurde eine lange Nacht. Am nächsten Morgen hatte meine Nini eine Laune wie ein k.o.-geschlagener Preisboxer, aber ihr Kopf war klar, und sie erinnerte sich an alles. Sie glaubte mir kein Wort davon, dass ich die Pillen für eine Freundin hätte aufheben sollen und selbst nicht wusste, dass es Ecstasy war. Was sie da erlebt hatte, spornte sie dazu an, die Lektionen aus dem Verbrecherclub endlich praktisch umzusetzen. Sie fand noch zehn Mitsubishi-Pillen zwischen meinen Schuhen und erfuhr von Mike O’Kelly, dass jede davon doppelt so viel kostete, wie ich in der Woche an Taschengeld bekam.
Meine Großmutter konnte leidlich mit dem Computer umgehen, weil sie in der Bibliothek daran arbeitete, war aber alles andere als eine Expertin. Deshalb wandte sie sich an Norman, einen Technikfreak, der mit sechsundzwanzig Jahren schon gebeugt und halb blind war, weil er von früh bis spät mit der Nase am Bildschirm hing. Mike O’Kelly greift bisweilen zu illegalen Zwecken auf ihn zurück. Wenn er seinen Jungs damit helfen kann, hat Schneewittchen noch nie Skrupel gehabt, heimlich die Computer von Strafverteidigern, Staatsanwälten, Richtern und Polizisten zu durchstöbern. Norman kommt überall rein, ohne die geringste Spur zu hinterlassen, wenn er wollte, könnte er sich sämtliche Dateien des Vatikans anschauen und jede Menge schlüpfrige Fotos von amerikanischen Kongressabgeordneten mit Prostituierten. Er müsste nicht mal das Zimmer im Haus seiner Mutter verlassen, könnte Leute erpressen, Bankkonten plündern und mit Aktienbetrug einen Reibach machen, aber ihm fehlt jede kriminelle Energie, sein diesbezügliches Interesse ist rein theoretisch.
Norman war nicht scharf darauf, seine kostbare Zeitan den Computer und das Handy einer sechzehnjährigen Göre zu verschwenden, knackte für meine Nini und Mike O’Kelly aber doch meine Passwörter, damit sie meine Mails lesen konnten, und stellte Dateien wieder her, die ich für endgültig gelöscht gehalten hatte. An einem einzigen Wochenende sammelten die beiden detektivischen Spürnasen genug Indizien, um die schlimmsten Befürchtungen meiner Nini zu bestätigen und ihr jeden Boden unter den Füßen wegzuziehen: Ihre Enkelin trank von Gin bis Hustensaft alles, was sie in die Finger bekam, sie kiffte, dealte mit Ecstasy, Acid und Beruhigungsmitteln, klaute Kreditkarten und hatte ein Geschäft der besonderen Art aufgezogen.
Die verwegene Idee dazu war mir gekommen, als ich im Fernsehen einen Bericht über FBI-Agenten sah, die sich im Internet als minderjährige Mädchen ausgeben, um Kinderschändern das Handwerk zu legen. Zusammen mit meinen Vampirfreundinnen wählte ich unter Hunderten ähnlicher Kontaktanzeigen im Netz eine aus:
Vater sucht Tochter: Geschäftsmann, weiß, 54, väterlich, aufrichtig, liebevoll, sucht junges Mädchen jeder Hautfarbe, klein, niedlich, willig und freizügig in der Rolle der Tochter; mit deinem Papi Spaß haben, einfach und direkt, für eine Nacht oder länger, da kann der Papi sehr großzügig sein. Nur ernst gemeinte Antworten, keine Homosexuellen. Unbedingt mit Foto.
Wir schickten ihm eins von Debbie, der kleinsten von uns, mit dreizehn auf dem Fahrrad, und bestellten ihn in ein Hotel in Berkeley, das wir kannten, weil Sarah dort im Sommer gejobbt hatte.
Debbie tauschte die schwarzen Kleider und die Kadaverschminke gegen Schulmädchenrock, weiße Bluse, Kniestrümpfe und Bänder im Haar, kippte ein
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