Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
ausgestorben war, weil noch keine Vorstellung lief. Ich sah schon von weitem, wie er da mit seinem schwankenden Angeberschritt auf und ab ging, mit einer Hand seine Hose festhielt, die aussah, als trüge er eine Windel darunter, und mit der anderen Hand rauchte, was alles aufgeregt und hibbelig wirkte, aber als ich näher kam, tat er gleichgültig, wie sich das für einen Macker von seinem Kaliber gehört. Er trat die Zigarette aus und musterte mich spöttisch von oben bis unten. »Nicht glotzen, machen, ich muss in zehn Minuten den Bus kriegen«, sagte ich, und begann meine Hose auszuziehen. Das wischte ihm das überhebliche Grinsen vom Gesicht; vermutlich hatte er irgendein Vorspiel erwartet. »Du hast mir schon immer gefallen, Maya Vidal«, sagte er. Wenigstens weiß der Trottel, wie ich heiße, dachte ich.
Laredo nahm mich am Arm und wollte mich küssen, aber ich drehte das Gesicht weg: Das war in meinem Plan nicht vorgesehen, und Laredos Atmen roch nach Auspuff. Er wartete, bis ich meine Hose los war, dann presste er mich auf den Asphalt, kämpfte sich ein, zwei Minuten auf mir ab, drückte mir seine Ketten und Anhänger in die Brust, hatte bestimmt keine Ahnung, dass er es mit einer Anfängerin machte, und sackte danach auf mir zusammen wie ein totes Tier. Ich schüttelte ihn zornig ab, wischte mir mit dem Slip durch den Schritt, pfefferte ihn irgendwo hin, zog meine Hose an, nahm meinen Rucksack und rannte davon. Im Bus bemerkte ich den dunklen Fleck zwischen meinen Beinen und die Tränen, von denen meine Bluse feucht war.
Am nächsten Tag kreuzte Rick Laredo im Park mit einer Rap-CD und einem Tütchen Marihuana für »sein Mädchen« auf. Der Ärmste tat mir leid, und ich brachte es nicht über mich, ihn mit Hohn in die Wüste zu schicken, wie es sich für einen Vampir gehört hätte. Ich stahl mich aus Sarahs und Debbies Blickfeld und lud ihn auf ein Eis ein. In der Eisdiele kaufte ich für jeden eine Waffel mit drei Kugeln, Pistazie, Vanille und Malaga, und während wir die schleckten, bedankte ich mich für sein Interesse an mir und für den Gefallen, den er mir im Parkhaus getan hatte, und versuchte ihm begreiflich zu machen, dass er seine Chance gehabt hatte, aber die Botschaft drang nicht in sein Primatenhirn durch. Ich wurde Rick Laredo nicht los, bis ihn ein Unfall Monate später unerwartet aus meinem Leben tilgte.
Ich verließ morgens das Haus wie eine, die zur Schule geht, traf mich jedoch auf halber Strecke mit Sarah und Debbie in einem Starbucks, wo die Angestellten uns für ein bisschen Gefummel auf dem Klo einen Latte Macchiato spendierten, staffierte mich als Vampir aus, und wir zogen herum, bis es nachmittags Zeit war, abgeschminkt und als brave Schülerin wieder nach Hause zu gehen. Die Freiheit währte einige Monate, bis meine Nini die Antidepressiva absetzte, unter die Lebenden zurückkehrte und Zeichen wahrzunehmen begann, die ihr zuvor wegen ihres nach innen gewandten Blicks entgangen waren: Aus ihrer Brieftasche verschwand Geld, die Zeiten, wenn ich aufkreuzte, passten zu keinem in der Welt der Bildungsanstalten bekannten Stundenplan, ich sah aus und benahm mich wie ein Flittchen, redete mich aus allem heraus und log sie an. Meine Kleider rochen unverkennbar nach Shit und mein Atmen verdächtig nach Pfefferminzbonbons. Noch hatte sie nicht mitbekommen, dass ich den Unterricht schwänzte. Mr. Harper hatte einmal erfolglos mit meinem Vater geredet, kam aber nicht auf den Gedanken, meine Großmutteranzurufen. Ihre Versuche, mit mir ins Gespräch zu kommen, hatten gegen die laute Musik aus meinem Kopfhörer, gegen mein Handy, den Computer und das Fernsehen keine Chance.
Für das Wohlbefinden meiner Nini wäre es das Beste gewesen, sie hätte vor den Warnsignalen die Augen verschlossen und friedlich mit mir unter einem Dach gelebt, aber weil sie mich beschützen wollte und so lange darin geübt war, detektivische Rätsel in Kriminalromanen zu lösen, meinte sie, sie müsste Nachforschungen anstellen. Erst nahm sie sich meinen Kleiderschrank und die in meinem Handy gespeicherten Telefonnummern vor. In einer Handtasche fand sie Kondome und ein Tütchen mit zwei gelben Pillen mit Mitsubishi-Logo. Sie wusste nicht, was das war, steckte sie zerstreut in den Mund und erlebte fünfzehn Minuten später, wie sie wirkten. Ihr Blick und ihr Verstand trübten sich, ihre Zähne begannen zu klappern, ihr Körper fühlte sich wattig an, und sie spürte all ihren Kummer schwinden. Sie legte eine von
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