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Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Mayas Tagebuch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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deshalb habe ich kein schlechtes Gewissen, ihn um etwas zu bitten«, erklärte mir Blanca. Die Allende-Regierung hatte 1971 im Zuge der Agrarreform die Familie Schnake enteignet und ihre Ländereien in Osorno an die Bauern gegeben, die dort seit Jahrzehnten lebten und arbeiteten. Don Lionel verschwendete seine Kräfte nicht wie andere mit politischen Hasstiraden und Sabotageakten, sondern hielt nach neuen Möglichkeiten und Horizonten Ausschau. Er fühlte sich jung und konnte noch einmal von vorn anfangen. Also zog er nach Chiloé und baute einen Handel mit Fisch und Meeresfrüchten auf, der die besten Restaurants in Santiago beliefert. Das Unternehmen überstand alle politischen und ökonomischen Wirren und später auch die Konkurrenz der japanischen Fangflotten und der Lachsfarmen. 1976 gab die Militärregierung Don Lionel seine Ländereien zurück, er überließ es seinen Söhnen, sie wieder auf Vordermann zu bringen, und blieb selbst in Chiloé, denn er hatte gerade seinen ersten Herzinfarkt überstanden und meinte, es wäre gut für ihn, sich dem gemächlichen Tempo hier anzupassen. »Nach fünfundachtzig nicht schlecht gelebten Jahren läuft mein Herz besser als ein Schweizer Uhrwerk«, sagte er am Sonntag zu mir, als Blanca mich mitnahm, damit ich ihn kennenlerne.
    Als Don Lionel hörte, ich sei »die Gringuita von Manuel Arias«, drückte er mich fest an seine Brust. »Sag dem undankbaren Kommunisten, er soll mich mal besuchen, das letzte Mal war er Neujahr da, und hier wartet eine Flasche vom besten Brandy Gran Reserva auf ihn.« Er ist ein rotgesichtiger Patriarch mit mächtigem Schnauzbart und vier schlohweißen Haarsträhnen auf dem Schädel; ein dickbauchiger, raumfüllender Lebemann, der lauthals über die eigenen Witze lacht und jeden, der vorbeikommt, an seinen Tisch einlädt. So stelle ich mir den Millalobo vor, den Unterwasserkönig, der Jungfrauen in sein Reich auf dem Meeresgrund entführt. Der Millalobo mit dem deutschen Nachnamen behauptet, er sei ein Opfer der Frauen im Allgemeinen – »Ich kann diesen bezaubernden Geschöpfen nichts abschlagen!« – und seiner Tochter im Besonderen,weil die ihn ausnehme. »Blanca ist zudringlicher als jeder Chilote, ständig bettelt sie mich wegen der Schule an. Weiß du, was sie neulich von mir wollte? Kondome! Das fehlt in diesem Land gerade noch: Kondome für die Kinder!«, erzählte er mir prustend vor Lachen.
    Don Lionel ist nicht der Einzige, der vor Blanca die Waffen streckt. Auf ihren Wunsch hin versammelten sich über zwanzig Freiwillige zum Renovieren und Streichen des Schulgebäudes; minga nennt man das hier, wenn sich die Leute zusammentun und unentgeltlich eine Arbeit erledigen, weil sie wissen, dass sie auch selbst Hilfe bekommen, wenn sie welche brauchen. Dieses Geben und Nehmen wird hier heilig gehalten: Heute bist du an der Reihe, morgen ich. Das funktioniert bei der Kartoffelernte, wenn ein Dach neu gedeckt werden muss und man die Netze flickt; oder wenn Manuel einen Kühlschrank transportieren muss.
    Rick Laredo hatte die Highschool vorzeitig verlassen und hing mit ein paar anderen auf der Straße rum, verkaufte Drogen an Kinder, klaute Kleinkram und kam mittags im Park vorbei, um seine ehemaligen Klassenkameraden von der Berkeley High zu treffen und ihnen möglichst irgendwas zu verticken. Er hätte das zwar niemals zugegeben, wäre aber gern wieder in die Schülerherde aufgenommen worden, aus der er vertrieben worden war, weil er Mr. Harper den Lauf seiner Pistole ans Ohr gehalten hatte. Ehrlich gesagt, war Mr. Harper noch viel zu nett zu ihm gewesen, er setzte sich sogar für seinen Verbleib an der Schule ein, aber Laredo schaufelte sich sein eigenes Grab, indem er den Rektor und die Mitglieder der Ausschlusskonferenz beschimpfte. Rick Laredo verwandte viel Mühe auf sein Äußeres, trug blitzsaubere weiße Sneakers, Tanktops, die seine Muskeln und Tattoos zur Geltung brachten, schmierte sich Gel ins Haar, dass es aussah wie ein Stachelschweinrücken, und trug solche Unmengen von Ketten und Armbändern,dass man ihn mit einem starken Magneten hätte außer Gefecht setzen können. Seine Jeans waren extra weit und hingen irgendwo unten, deshalb hatte er einen Gang wie ein Schimpanse. Er war so ein kleines Licht, dass sich weder die Polizei noch Mike O’Kelly für ihn interessierten.
    Als ich beschloss, meiner Jungfräulichkeit ein Ende zu setzen, bestellte ich Laredo ohne weitere Erklärung ins Parkhaus eines Kinos, das um die Uhrzeit wie

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