Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
Garay anfragt, der auf einer Karte markiert, wo und in welcher Tiefe man Wasser findet, und ihnen die Karte dann faxt. Ich muss diese Geschichten aufschreiben, damit meine Nini neues Rohmaterial für ihre Erzählstunden hat.
Unsere beiden Inselpolizisten erinnern mich an Sergeant Walczak in Berkeley: Sie sind den Schwächen der Menschen gegenüber tolerant. Die Zellen auf der Wache – eine für Damen, eine für Herren, sagen die Schilder an den Gitterstäben – dienen vor allem dazu, dass Betrunkene ein Dach über dem Kopf haben, wenn es regnet und man sie nicht nach Hause bringen kann.
Meine letzten drei Jahren, zwischen sechzehn und neunzehn, enthielten so viel Sprengstoff, dass meine Nini um ein Haar dabei draufgegangen wäre, was sie zu dem Resümee bewog: »Ich bin froh, dass dein Pop nicht mehr unter uns ist und nicht mit ansehen muss, was aus dir geworden ist, Maya.« Fast hätte ich ihr entgegnet, dass, wäre mein Pop noch unter uns, aus mir nicht geworden wäre, was ich bin, aber ich verkniff es mir gerade noch; es wäre nicht fair gewesen, ihn für mein Verhalten verantwortlich zu machen.
An einem Tag im November 2006, vierzehn Monate nach dem Tod meines Großvaters, rief das Bezirkskrankenhaus morgens um vier bei Familie Vidal an, um mitzuteilen, die minderjährige Maya Vidal sei mit dem Rettungswagen in der Notaufnahme eingeliefert worden und werde gerade operiert. Meine Großmutter war als Einzige zu Hause, bekam Mike O’Kelly ans Telefon, bat ihn, meinen Vater zu verständigen, und eilte ins Krankenhaus. Ich hatte mich am Abend zuvor davongestohlen, um mich mit Sarah und Debbie auf einem Rave in einer stillgelegten Fabrikhalle zu treffen. Den VW konnte ich nicht nehmen, der war in der Werkstatt, weil meine Nini wieder irgendwo drangefahren war, deshalb stieg ich auf mein altes, etwas rostiges Fahrrad mit den schlechten Bremsen.
Der Türsteher war ein Typ mit Verbrechervisage und dem Hirn eines Brathähnchens, kannte uns und ließ uns rein, ohne sich um die Altersbeschränkung zu kümmern. In der Halle wummerten die Bässe, die Massen tobten wieverrenkte Marionetten, die einen tanzten und hüpften, die anderen lagen auf dem Boden und zappelten im Takt. Trinken bis zum Umfallen, rauchen, was man nicht spritzen kann, mit dem Nächstbesten hemmungslos rummachen, darum ging es hier. Der Schweißgeruch, der Qualm und die Hitze waren so heftig, dass wir zwischendurch rausgehen mussten, um Luft zu schnappen. Ich brachte mich gleich zu Anfang mit einem Spezialcocktail in Stimmung – Gin, Wodka, Whisky, Tequila und Cola – und rauchte ein Pfeifchen mit einer Mischung aus Gras, Kokain und etwas LSD, was abging wie Dynamit. Bald hatten sich meine Freundinnen in der wogenden Masse aufgelöst, und ich sah sie nicht wieder. Ich tanzte allein, trank weiter, ließ mich von ein paar Jungs befummeln … An Einzelheiten erinnere ich mich nicht mehr und auch nicht an das, was dann geschah. Als die Beruhigungsmittel im Krankenhaus zwei Tage später abgesetzt wurden, erfuhr ich, dass mich auf dem Heimweg ein Auto angefahren hatte. Ich muss völlig zugedröhnt auf meinem Fahrrad ohne Licht und Bremsen gesessen haben, wurde von dem Wagen erfasst, durch die Luft geschleudert und landete etliche Meter weiter im Gestrüpp am Straßenrand. Der Fahrer hatte noch versucht, mir auszuweichen, war gegen einen Pfosten geprallt und hatte eine Gehirnerschütterung erlitten.
Ich verbrachte zwölf Tage im Krankenhaus mit einem gebrochenen Arm, ausgerenktem Unterkiefer und einem brandroten Ausschlag am ganzen Körper, weil ich in einem Gestrüpp aus Giftsumach gelandet war, und blieb danach zwanzig Tage eingesperrt zu Hause, mit Drahtstiften und Schrauben im Knochen und bewacht von meiner Großmutter und Schneewittchen, der sie hin und wieder für ein paar Stunden ablöste, damit sie schlafen konnte. Meine Nini hielt den Unfall für eine Verzweiflungstat meines Großvaters, um mich zu beschützen. »Das sieht man schon daran,dass du am Leben bist und kein Bein gebrochen hast, sonst könntest du ja nicht mehr Fußball spielen«, sagte sie. Im Grunde war sie wohl erleichtert, dass sie auf diese Weise meinem Vater nicht sagen musste, was sie über mich herausgefunden hatte; das übernahm die Polizei.
Meine Nini ging in diesen Wochen nicht arbeiten und blieb argwöhnisch wie ein Gefängniswärter an meiner Seite. Als Sarah und Debbie endlich zu Besuch kamen – sie hatten sich nach dem Unfall nicht aus der Deckung getraut –,
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