Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
Entscheidung traf nicht ich, sondern mein Vater, ohne mich zu fragen. Die Kosten übernahm zum Glück der kalifornische Staat; andernfalls hätte meine Familie das Haus verkaufen müssen, denn dieses Resozialisierungsprogramm kostete sechzigtausend Dollar im Jahr. Die Eltern einiger Insassen kamen im Privatjet zu Besuch.
Mein Vater nahm den Urteilsspruch des Gerichts erleichtert an, weil er mich loswerden wollte wie eine heiße Kartoffel. Er schaffte mich als strampelndes Etwas nach Oregon, mit drei Valium im Bauch, die ohne Wirkung blieben, hätte es bei jemand wie mir doch der doppelten Dosis bedurft, immerhin konnte ich mit einem Cocktail aus Vicodin und mexikanischen Pilzen einwandfrei funktionieren. Susans Freund und er zerrten mich aus dem Haus, trugenmich ins Flugzeug, dann in einen Mietwagen und fuhren mich auf einer endlosen Straße durch den Wald vom Flughafen zu der Therapieeinrichtung. Ich hatte eine Zwangsjacke und Elektroschocks erwartet, aber das Internat war eine Ansammlung freundlicher Holzgebäude in einem Park. Es erinnerte nicht mal entfernt an eine Irrenanstalt.
Die Leiterin empfing uns in ihrem Büro zusammen mit einem bärtigen jungen Mann, der sich als einer der Psychologen vorstellte. Man hätte die zwei für Geschwister halten können, beide hatten das flachsblonde Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, trugen verwaschene Jeans, ein graues Sweatshirt und Stiefel, den Einheitslook der Angestellten, mit dem sie sich von den Insassen und ihren ausgeflippten Staffagen unterschieden. Sie begrüßten mich wie eine Freundin, die zu Besuch kommt, nicht wie ein kreischendes Gör, das völlig durch den Wind ist und von zwei Männern in den Raum gezerrt wird. »Du kannst Angie zu mir sagen, und das ist Steve. Wir werden dir helfen, Maya. Du wirst sehen, das Programm ist ganz einfach«, versuchte es die Frau aufmunternd. Ich kotzte die Nüsse aus dem Flugzeug auf den Teppich. Mein Vater sagte, nichts werde einfach sein mit seiner Tochter, aber sie hatte meine Akte auf dem Schreibtisch und vermutlich schon schlimmere Fälle gesehen. »Es wird schon dunkel, Herr Vidal, und Sie haben einen weiten Heimweg. Sie sagen Ihrer Tochter jetzt besser Auf Wiedersehen. Seien Sie unbesorgt, Maya ist hier in guten Händen«, sagte sie. Er ließ sich das nicht zweimal sagen, eilte zur Tür, aber ich warf mich auf ihn, klammerte mich an sein Jackett und schrie, er solle nicht weggehen, bitte, Papa, bitte. Angie und Steve hielten mich ohne große Mühe fest, während mein Vater und der Moai machten, dass sie wegkamen.
Müdegekämpft gab ich mich schließlich geschlagen und rollte mich auf dem Boden zusammen wie ein Hund. Sieließen mich eine Weile so liegen, wischten das Erbrochene auf, und als ich aufhörte zu schluchzen und zu schniefen, gaben sie mir ein Glas Wasser. »Ich bleibe nicht in diesem Irrenhaus! Keine Chance! Bei der ersten Gelegenheit bin ich weg!«, schrie ich sie an mit dem bisschen Stimme, das mir geblieben war, sträubte mich aber nicht, als sie mir aufhalfen und mich mitnahmen, um mir die Räumlichkeiten zu zeigen. Draußen war es dunkel und sehr kalt, drinnen aber warm und gemütlich, es gab lange überdachte Korridore zwischen den Gebäuden, große Räume mit hohen Decken und offenliegenden Balken, Panoramafenster mit beschlagenen Scheiben, es duftete nach Holz, war einfach und geschmackvoll. Keine Gitterstäbe, keine Vorhängeschlösser. Sie zeigten mir ein kleines Hallenbad, einen Kraftraum, einen Gemeinschaftsraum mit Sesseln, Billardtisch und einem großen Kamin, in dem dicke Scheite brannten. Die Schüler saßen im Speisesaal an rustikalen Tischen, auf denen kleine Blumensträuße standen, was mir nicht entging, zumal es nicht die Jahreszeit für einen Blumengarten war. Zwei füllige Mexikanerinnen in weißen Schürzen reichten mit einem Lächeln das Essen über die Theke. Die Atmosphäre war ungezwungen, locker, lärmend. Mir stieg der köstliche Geruch von dicken Bohnen und Grillfleisch in die Nase, ich lehnte es aber ab, etwas zu essen, wollte mich auf keinen Fall unter das Gesocks hier mischen.
Angie nahm ein Glas Milch und ein Tellerchen Kekse und brachte mich in einen schlicht eingerichteten Schlafraum, vier Betten und ein paar Schränke aus hellem Holz, Bilder von Vögeln und Blumen an den Wänden. Nur die Familienbilder auf den Nachttischen deuteten darauf hin, dass die Betten benutzt wurden. Mich grauste bei dem Gedanken, wie gestört man sein musste, um in einem derart geleckten
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