Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
als er nach Chiloé verbannt wurde und bei den Schnakes im Haus lebte, neununddreißig gewesen. Er war traumatisiert von einem Jahr im Gefängnis, der Verbannung, dem Verlust seiner Familie, seiner Freunde, seiner Arbeit, von allem, während Blanca damals eine großartige Zeit erlebte: Sie war Schönheitskönigin geworden und drauf und dran zu heiraten. Ein brutaler Kontrast zwischen den beiden. Blanca wusste so gut wie nichts über den Gast ihres Vaters, fühlte sich aber wegen seiner unglücklichen und melancholischen Art zu ihm hingezogen; im Vergleich kamen ihr andere Männer, auch ihr Verlobter, oberflächlich vor. In der Nacht, bevor Manuel ins Exil aufbrach – die Familie Schnake feierte gerade die Rückgabe ihrer enteigneten Ländereien in Osorno –, ging sie in Manuels Zimmer, um ihm ein wenig Freude zu schenken, etwas, woran er in Australien gern zurückdenken würde. Blanca hatte schon mit ihrem Verlobten geschlafen, einem erfolgreichen Ingenieur aus wohlhabender Familie, Anhänger des Militärregimes, katholisch, das genaue Gegenteil von Manuel und wie gemacht für eine junge Frau wie sie, aber was sie mit Manuel in dieser Nacht erlebte, war sehr anders. Der Morgen fand die beiden eng umschlungen und traurig, wie zwei Waisen.
»Er war es, der mir etwas schenkte. Manuel hat mich verändert, er hat mir zu einem anderen Blick auf die Welt verholfen. Er hat mir nicht erzählt, was sie im Gefängnis mit ihm gemacht haben, darüber redet er nie, aber ich spürte, wie sehr er gelitten hat. Wenig später habe ich meine Verlobung gelöst und bin auf Reisen gegangen.«
In den zwanzig Jahren danach hörte sie immer wieder von Manuel, weil er nie aufhörte, an Don Lionel zu schreiben; so erfuhr sie von seinen Scheidungen, seinem Aufenthalt in Australien, dann in Spanien, von seiner Rückkehr nach Chile 1998. Sie selbst war damals verheiratet und hatte zwei halbwüchsige Kinder.
»Meine Ehe holperte zu der Zeit heftig, mein Mann warein chronischer Fremdgeher und dazu erzogen, sich von Frauen bedienen zu lassen. Du wirst schon gemerkt haben, wie machohaft dieses Land ist, Maya. Mein Mann hat mich verlassen, als der Krebs diagnostiziert wurde; er konnte sich nicht vorstellen, mit einer Frau ohne Brüste das Bett zu teilen.
»Und was ist zwischen dir und Manuel passiert?«
»Nichts. Wir sind uns hier in Chiloé wieder begegnet, beide reichlich beschädigt vom Leben.«
»Du liebst ihn, oder?«
»So einfach ist das nicht …«
»Dann solltest du ihm das sagen«, fiel ich ihr ins Wort. »Wenn du warten willst, bis er was tut, dann leg schon mal die Füße hoch.«
»Bei mir kann jederzeit der Krebs wiederkommen, Maya. Kein Mann will eine Frau wie mich am Hals haben.«
»Und in Manuels Kopf kann jederzeit diese gottverdammte Blase platzen, Tía Blanca. Ihr habt keine Zeit zu verlieren.«
»Und du hältst dich da schön raus!«, fuhr sie mich erschrocken an. »Das Letzte, was wir brauchen, ist eine Gringa, die uns verkuppelt.«
Ich fürchte, wenn ich mich raushalte, werden die beiden steinalt sterben, ohne dass sich da irgendwas tut. Als ich später nach Hause kam, überarbeitete Manuel im Lehnsessel am Fenster einzelne Manuskriptseiten, hatte eine Tasse Tee auf dem Beistelltisch, den Dusselkater zu Füßen und den Literatenkater zusammengerollt auf dem Manuskript. Das Haus roch nach Zucker, weil Eduvigis aus den letzten Früchten des Jahres Aprikosenkompott gekocht hatte. Er kühlte in einer Reihe verschieden großer Schraubgläser aus, bereit für den Winter, wenn die Fülle verebbt und die Erde schläft, wie sie sagt. Manuel hörte mich reinkommen, deutete einen Gruß mit der Hand an, sah aber nicht von seinen Papieren auf. Ach, Pop! Pass auf ihn auf, ich könnte es nichtertragen, dass Manuel etwas zustößt, dass er mir auch noch stirbt. Auf Zehenspitzen trat ich zu ihm und legte von hinten meine Arme um ihn. Eine traurige Umarmung. Seit der Nacht, als ich uneingeladen in sein Zimmer kam, habe ich alle Scheu vor Manuel verloren; jetzt nehme ich seine Hand, küsse ihn, stibitze Essen von seinem Teller – was er nicht ausstehen kann –, lege meinen Kopf auf seine Knie, wenn wir lesen, und bitte ihn, mir den Rücken zu kratzen, was er verschreckt tut. Er beschwert sich nicht mehr, wenn ich seine Sachen anziehe und seinen Computer benutze oder seine Texte für das Buch korrigiere, weil ich einfach besser schreibe als er. Ich vergrub meine Nase in seinen festen Haaren, und meine Tränen fielen wie Steinchen
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